Therapie: Wie werden Hereditäre Angioödeme behandelt?
Autor: Julia Dobke, Zuletzt geändert: 24.06.2020 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e225364
Inhaltsverzeichnis
Das Hereditäre Angioödem ist eine chronische Erkrankung, die zum aktuellen Zeitpunkt nicht heilbar ist. Es gibt aber effektive Behandlungsmethoden, die den Betroffenen meist ein fast normales Leben ermöglichen.
Die ersten Symptome treten selten direkt nach der Geburt auf, sondern meist erst im Laufe der ersten 10 Lebensjahre oder noch später. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung findet die Diagnose häufig erst Jahre nach dem Auftreten der ersten Symptome statt.
Aufgrund der möglichen schweren Schwellungen, vor allem auch die lebensbedrohlichen im Kehlkopfbereich, ist es wichtig, dass alle Patienten mit einem HAE in einem Behandlungszentrum mit Erfahrung mit dieser Erkrankung betreut werden. Die reguläre Betreuung sollte wohnortnah erfolgen. Neben der medikamentösen Behandlung ist es extrem wichtig, dass die Betroffenen und die Angehörigen genau über die Erkrankung und ihre möglichen Symptome Bescheid wissen und geplant notwendige Behandlungsmaßnahmen selbst ergreifen können oder schnell Hilfe aufsuchen.
Es gibt derzeit praktisch keine Behandlung, die die Erkrankung heilen kann.
Ziel der Therapie ist es deswegen:
- die akute Attacke durch frühzeitige Behandlung zu verkürzen und abzuschwächen
- Komplikationen durch operative Eingriffe im Mund-und Halsbereich zu verhindern (Kurzzeitprophylaxe)
- neue Attacken zu verhindern durch die dauerhafte Gabe von Medikamenten (Langzeitprophylaxe)
Für Kinder und Jugendliche gibt es eine wirksame, durch Studien belegte medikamentöse Therapie.
Falls die Schwellungen nur leicht sind und an ungefährlichen Orten (z.B. geringfügige Schwellungen an Händen und Füßen) auftreten, kann es bei Kindern älteren ab 6 Jahre auch genügen, abzuwarten und den Verlauf zu beobachten („watch and see“).
Behandlung des akuten Anfalls
Je nach Alter des Patienten gibt es verschiedene für die Behandlung zugelassene Medikamente. Die Medikamente Berinert®, Cinryze® und Ruconest® ersetzen den fehlenden C1 Inhibitor. Die Medikamente Firazyr® und Takhzyro® unterbinden die Wirkung von Bradykinin (siehe auch „Ursachen“), das federführend für die Symptomentstehung beim HAE verantwortlich ist.
0 -1 Jahre |
2 - 5 Jahre |
6 - 11 Jahre |
Ab 12 Jahre |
---|---|---|---|
Berinert® (i.v.) |
Berinert® (i.v.) Cinryze® Ruconest® Firazyr® |
Berinert® (i.v.) Cinryze® Ruconest® Firazyr® |
Berinert® (i.v.) Cinryze® Ruconest® Firazyr® |
- Im Hals- und Kopfbereich sollte jede Attacke in allen Altersgruppen behandelt werden
- Therapie sollte so früh wie möglich beginnen
- Kinder jünger 6 Jahre: Alle Attacken (auch des Magen-Darmtrakts und der Arme und Beine) sollten behandelt werden
- Kinder ab 6 Jahren: Bei Attacken außerhalb des Kopf/Hals-Bereiches sollte eine Therapie erwogen werden (Indikation nach Schweregrad)
- Die Medikation sollte jederzeit kurzfristig verfügbar sein
Kurzzeitprophylaxe
Eine Kurzzeitprophylaxe wird vor Eingriffen im Kopf/ Halsbereich empfohlen. Das kann eine Zahn-OP sein oder ein operativer Eingriff.
0 - 1 Jahre |
2 - 5 Jahre |
6 - 11 Jahre |
Ab 12 Jahre |
---|---|---|---|
Berinert® (i.v.) |
Berinert® (i.v.) Cinryze® |
Berinert® (i.v.) Cinryze® |
Berinert® (i.v.) Cinryze® |
- Empfohlen für alle gewebstraumatisierende und operative Eingriffe im Kopf-Halsbereich
- Wird auf Kurzzeitprophylaxe verzichtet, sollte als Notfallmedikation ein C1 Inhibitor Konzentrat griffbereit sein
- Gabe der Kurzzeitprophylaxe möglichst zeitnah vor dem Eingriff
Langzeitprophylaxe
Eine Langzeitprophylaxe findet nicht standartmäßig bei allen Patienten statt. Sie ist abhängig vom Alter des Patienten und des Krankheitsgeschehens.
0 - 1Jahre |
2 - 5 Jahre |
6 - 11 Jahre |
Ab 12 Jahre |
---|---|---|---|
Nicht zugelassen |
Nicht zugelassen |
Cinryze® |
Berinert® (s.c.) Cinryze® Takhzyro® |
- Für die Entscheidung zu einer Langzeitprophylaxe sollten die Häufigkeit der Attacken, die individuelle Belastung durch die Krankheit und die Beeinträchtigung des üblichen Tagesablaufs berücksichtigt werden. Im Regelfall erfolgt keine Langzeitprophylaxe bei weniger als zwei Attacken pro Monat.
Krampflösende Medikamente
Bei milden Bauchattacken kann es manchmal ausreichend sein, nur ein krampflösendes Medikament als Zäpfchen zu verabreichen.
Therapie des Kehlkopfödems (Larynxödems)
Patienten mit einem HAE im Kopfbereich mit Ödem des Rachens oder Kehlkopfes sind wegen der drohenden Erstickungsgefahr ein Notfall und sollten unverzüglich stationär behandelt und überwacht werden.
Alle betroffenen Patienten müssen schnellstmöglich mit einem C1-Inhibitor oder Firazyr® medikamentös behandelt werden
Eine Intubation des Patienten ist notwendig, wenn es zu einer bedrohlichen Atemnot kommt.
Unterstützende Maßnahmen
Um eine schnelle Behandlung beginnender Schwellungen zu ermöglichen, sollten ältere Patienten sowie Eltern, andere Angehörige, Lehrer und andere Bezugspersonen über das Krankheitsbild informiert sein und vor allem erste Symptome eines Kehlkopfödems erkennen können.
Der Patient sollte immer einen Notfallplan bei sich tragen, auf dem ersichtlich ist, welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Ebenso sollten alle Betroffenen einen Notfallausweis mit sich führen.
Patienten mit einem HAE durch C1-INH-Mangel sollten immer ein Notfallmedikament ausreichend für zwei Dosierungen zu Hause vorrätig halten und bei Reisen mit sich führen. Im nächstgelegenen Krankenhaus sollten der Patient und die Krankheit bekannt sein.
Bei Schulkindern sollten die Lehrer darüber informiert sein, dass akute Attacken auftreten können. Vor zahnärztlichen Operationen, auch Zahnextraktionen, sowie anderen Operationen im Mund-Rachen-Bereich sollten Patienten mit HAE durch C1-INH-Mangel eine Stunde vor dem Eingriff 20 Einheiten pro kg Körpergewicht C1-INH Konzentrat erhalten.
Heimselbstbehandlung
Da es sich bei HAE um eine lebenslang andauernde Erkrankung handelt, gibt es die Möglichkeit der Heimselbstbehandlung. Diese ist nur mit Einverständnis des behandelnden Arztes und nach einer Schulung der Eltern oder der Patienten selbst durch den Arzt möglich. Durch die Selbstbehandlung kann eine Schwellungsattacke früher behandelt werden und die Schwere der Schwellung ist meist geringer (KRE2012a).