Infektionen
Autor: Dr.. med.habil Gesche Tallen, Maria Yiallouros, Freigabe: PD Dr. med. Sebastian Voigt, Zuletzt geändert: 19.03.2024 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e267880
Inhaltsverzeichnis
Die Luft, die wir einatmen, die Nahrung, die wir zu uns nehmen, die Hände, die wir schütteln, die Dinge, die wir anfassen – alles, mit dem wir im täglichen Leben in Berührung kommen, enthält Bakterien, Viren, Pilze und andere Organismen, die Infektionen auslösen können.
Für einen gesunden Menschen mit einem normalen körpereigenen Abwehrsystem (Immunsystem) sind diese alltäglichen Auseinandersetzungen mit Infektionsquellen in der Regel kein großes Problem. Das gesunde Immunsystem sorgt ununterbrochen dafür, dass der Körper einerseits vor Infektionen geschützt wird und andererseits eingedrungene Infektionserreger erfolgreich vernichtet werden.
Bei Patienten, die eine Stammzelltransplantation erhalten haben, sieht das allerdings ganz anders aus, denn ihre Immunabwehr ist durch die Behandlung geschwächt. Prinzipiell besteht eine erhöhte Infektgefährdung in den Phasen unmittelbar vor und nach der Transplantation durch die Hochdosistherapie. Bei Patienten, die eine allogene Transplantation erhalten, hält die Gefahr für Infektionen länger an, da sie zusätzlich Medikamente zur Unterdrückung ihres Immunsystems erhalten (sogenannte Immunsuppression). Außerdem dauert es einfach einige Monate, bis das sich neu bildende Immunsystem voll funktionsfähig ist, ähnlich wie bei einem Säugling.
Mögliche Infektionsursachen im Überblick
Infektionen treten auf, wenn das körpereigene Abwehrsystem des Patienten nicht richtig funktioniert oder geschwächt ist. Eine behandlungsbedingte Verletzung von Haut und Schleimhäuten kann das Eindringen von Krankheitserregern zusätzlich erleichtern. Im Rahmen einer HSZT gibt es verschiedene Ursachen für eine gestörte Immunabwehr. Dazu gehören:
nach autologer und allogener HSZT:
- eine verringerte Anzahl weißer Blutkörperchen, zum Beispiel während der Phase der Knochenmarkaplasie
- Schleimhautschäden (Mukositis) in Mund und Magen-Darm-Trakt infolge der Hochdosistherapie
- Fremdkörper wie Venenverweilkatheter oder Urinkatheter
nur nach allogener HSZT:
- eine verringerte Anzahl weißer Blutkörperchen infolge der immunsuppressiven Vorbeugung / Behandlung der Spender-gegen-Empfänger-Reaktion
- eine gestörte Funktion der weißen Blutkörperchen, insbesondere der T-Lymphozyten und B-Lymphozyten
- ein zahlenmäßiges Ungleichgewicht zwischen jenen weißen Blutkörperchen, die Abwehrreaktionen ausführen und jenen, die solche Abwehrreaktionen unterdrücken
- eine verzögerte Regeneration des Knochenmarks durch eine Spender-gegen-Empfänger-Reaktion
Infektionen in der Frühphase nach Stammzelltransplantation (etwa bis Tag +30)
Die ersten Wochen nach der Hochdosistherapie (Konditionierung) und der Stammzelltransplantation sind durch einen ausgeprägten Mangel an weißen Blutzellen (Leukozyten), roten Blutzellen (Erythrozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten) gekennzeichnet.
Grund dafür ist die herabgesetzte Knochenmarkfunktion, die so genannte Knochenmarkaplasie. Sie kann durchschnittlich bis zu vier Wochen anhalten, bevor sie, mit dem Anwachsen der neuen Stammzellen und der Wiederaufnahme der Blutbildung, in die so genannte Regenerationsphase übergeht (siehe hierzu auch die Informationen zu Aplasie-Phase und Regenerationsphase).
Während der Mangel an Thrombozyten und Erythrozyten durch geeignete Transfusionen ausgeglichen werden kann, lässt sich die Funktion der Leukozyten durch eine Transfusion nicht in ausreichendem Maße ersetzen. Am gravierendsten ist in dieser Phase der Mangel an Granulozyten, einer Untergruppe der Leukozyten, die als so genannte Fresszellen vor allem für die Bekämpfung von Bakterien und Pilzen zuständig sind.
Damit beginnt eine Phase der deutlich erhöhten Anfälligkeit für Infektionen. Behandlungsbedingte Schleimhautschäden im Mund- und Darmbereich erleichtern zusätzlich das Eindringen von Krankheitserregern.
Häufige Krankheitserreger
Folgende Arten von Infektionen kommen in dieser Phase am häufigsten vor:
- Infektionen durch Haut- und Darmbakterien
- Infektionen durch Bakterien, die am zentralen Venenkatheter (zum Beispiel Hickman-Katheter) sitzen
- Infektionen durch Schimmelpilze (Aspergillus) und Hefepilze (Candida spezies)
- Infektion durch Herpes-simplex-Viren
Die Hauptinfektionsquelle ist der Darm. Seltener werden Krankheitserreger über die Nahrung oder eine andere Person übertragen.
Vorbeugende Maßnahmen
Obwohl es leistungsfähige Antibiotika, Antipilzmittel (Antimykotika) und Virusmedikamente (Virostatika) gibt, die zum Teil auch vorbeugend verabreicht werden, stellt diese Periode eine Gefährdung für die Patienten dar, die nicht unterschätzt werden darf. Aus diesem Grund wurden wichtige zusätzliche Schutzmaßnahmen entwickelt.
Die wirksamste Maßnahme ist die Unterbringung des Patienten in einem Isolierzimmer mit speziellem Luftfilterungssystem. Eine bedeutende Rolle spielen in diesem Zusammenhang:
- Luftfilteranlagen ("Laminar-Airflow-Einheiten") in den Patientenzimmern
- die Desinfektion aller Dinge, die in das Patientenzimmer gebracht werden
- eine keimarme Ernährung
- Zugang für die Angehörigen nur mit spezieller Schutzkleidung und Mundschutz sowie nach gründlicher und regelmäßiger Hände-Desinfektion
- die Vermeidung von Kontakt zu bestimmten Pflanzen oder Tieren
- besonders aufbereitete Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentrate für eventuell notwendige Transfusionen.
Gut zu wissen: Einzelheiten zu diesen und weiteren Schutzmaßnahmen erhalten Sie von Ihrem Transplantationsteam.
Behandlung von Infektionen
Trotz all dieser Maßnahmen treten bei den meisten Patienten in der Zeit der Knochenmarkaplasie Fieberphasen als Zeichen einer Infektion auf.
Die Therapie wird nach einem in jedem Zentrum optimierten Stufenschema durchgeführt. Da bakterielle Infektionen in dieser Phase am wahrscheinlichsten sind, werden unverzüglich Antibiotika über den Venenverweilkatheter [zentraler Venenkatheter] verabreicht. In der Regel handelt es sich zunächst um Breitspektrumantibiotika, die gegen verschiedene Bakterien wirksam sind. Wenn sich ein bestimmter Erreger feststellen lässt, kann die Antibiotika-Therapie entsprechend angepasst werden. Ist der zentrale Venenkatheter Ausgangspunkt der Infektion, muss er in der Regel umgehend entfernt beziehungsweise ersetzt werden.
Infektionen durch Fadenpilze (Schimmelpilze, Aspergillus) und Hefepilze (Candida-Arten) führen häufig zu Lungenentzündungen oder Blutvergiftungen. Sie sind prinzipiell lebensbedrohlich, daher erhält der Patient bereits vorbeugend bestimmte Medikamente. Wird trotz der Prophylaxe eine Pilzinfektion der Lunge festgestellt, zum Beispiel bei einer Röntgenuntersuchung des Brustkorbs, werden andere Pilzmedikamente gegeben. Die Mehrzahl der Pilzinfektionen lässt sich dadurch erfolgreich behandeln.
Herpes-simplex-Viren sind bei vielen Patienten schon im Körper und werden, wenn das Immunsystem geschwächt ist, häufig reaktiviert. Es bilden sich dann Bläschen oder offene Stellen im Mund („Lippenherpes“), die mit erheblichen Schluckbeschwerden einhergehen können. Um eine Infektion mit dem Virus beziehungsweise seine Reaktivierung von vornherein zu verhindern, erhalten alle Patienten eine vorbeugende Behandlung mit Aciclovir. Wenn trotz dieser Behandlung Herpes-simplex-Viren zeigen, werden andere Virusmedikamente eingesetzt.
In den meisten Fällen klingen vor allem bakterielle Infektionen mit der Regeneration des Knochenmarks, also ungefähr vier Wochen nach der Transplantation, wieder ab. Die transplantierten Stammzellen sind dann in der Lage, ausreichend eigene, funktionierende Abwehrzellen (in erster Linie Granulozyten) zu bilden.
Gut zu wissen: Lebensbedrohliche Infektionen während der Aplasiephase sind insgesamt selten.
Später auftretende Infektionen
Patienten, die eine allogene Stammzelltransplantation erhalten, sind nicht nur in den Phasen unmittelbar vor und nach der Behandlung infektgefährdet. Auch nach der Regeneration des Knochenmarks besteht bei ihnen noch über längere Zeit eine große Infektionsgefahr. Dies hängt damit zusammen, dass die Patienten während der Konditionierungsbehandlung und nach der Transplantation Medikamente erhalten, die das Immunsystem unterdrücken (Immunsuppression). Damit soll verhindert werden, dass es zu Abstoßungsreaktionen, zum Beispiel der akuten Spender-gegen-Empfänger-Reaktion, kommt (siehe Kapitel „GvH-Krankheit“).
Die meisten Infektionen treten innerhalb von drei bis sechs Monaten nach der Transplantation auf, also zu der Zeit, wo der Patient meist aus der Klinik bereits entlassen ist. Kommt es zu einer chronischen Spender-gegen-Empfänger-Reaktion, die eine länger dauernde immunsuppressive Therapie erforderlich macht, besteht die Infektgefährdung noch wesentlich länger.
Die bedeutsamsten Infektionen in dieser Phase, nachdem das Knochenmark bereits angewachsen, aber das Immunsystem noch unterdrückt ist, werden durch verschiedene Pilze (wie Schimmel- oder Hefepilze) und Viren ausgelöst werden. Zu letzteren gehören beispielsweise Herpes-simplex-Viren, das Varizella-Zoster-Virus, das Epstein-Barr-Virus sowie das Zytomegalie-Virus. Diese Viren werden in der Regel nicht erst zu diesem Zeitpunkt von außen übertragen, sondern befinden sich infolge früherer, meist harmloser Infektionen schon länger im Körper des Patienten, allerdings in inaktiver Form. Durch die gedämpfte Abwehrlage des Patienten werden sie wieder angeregt und können vor allem lebensbedrohliche Lungenentzündungen (Pneumonien) hervorrufen.
Weitere Infektionserreger können seltenere Organismen wie Toxoplasma gondii (Erreger der Toxoplasmose) oder Pneumocystis jirovecii sein, die ebenfalls zu Lungen- oder auch Hirnhautentzündungen (Meningitiden) führen können.
Vorbeugung: Der Vorbeugung solcher Infektionen dienen, in der frühen Transplantationsphase, zunächst wiederum die beschriebenen Schutzmaßnahmen (siehe oben). Darüber hinaus wird aber noch über einen längeren Zeitraum nach der Transplantation die rechtzeitige und regelmäßige Einnahme von Medikamenten empfohlen, die sich gegen Viren (Virostatika) und Pilze (Antimykotika) richten. Zum Einsatz können auch Antibiotika sowie bestimmte Eiweißsubstanzen, die die körpereigene Abwehr unterstützen (Immunglobuline), kommen.
Durch die geschilderten vorbeugenden und therapeutischen Maßnahmen konnten infektionsbedingte tödliche Komplikationen der Stammzelltransplantation deutlich verringert werden.