Welche Arten der Stammzelltransplantation gibt es?

Autor:  Dr. med. Gesche Tallen, Dr. med. Andrea Jarisch, Freigabe:  Dr. med. Jörn-Sven Kühl, Zuletzt geändert: 19.03.2024 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e267441

Ist nach eingehender Prüfung der Gesamtsituation eine hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT) angezeigt, muss im nächsten Schritt die Form ausgewählt werden, die für Ihr Kind hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit am besten geeignet ist. Dabei spielt auch eine Rolle, ob ein geeigneter Stammzellspender zur Verfügung steht.

Grundsätzlich unterscheidet man nach Art des Spenders zwei Formen der HSZT:

Eine besondere Form der allogenen Stammzelltransplantation ist die syngene Stammzelltransplantation, bei der der Patient Blutstammzellen eines eineiigen Zwillings erhält.

Autologe Blutstammzelltransplantation

Bei der autologen Stammzelltransplantation bekommt der Patient eigene Blutstammzellen übertragen, die ihm zuvor entnommen wurden.

Für Kinder und Jugendliche mit einer gutartigen Erkrankung des blutbildenden Systems kommt eine autologe Stammzelltransplantation zur Heilung der Grunderkrankung nicht in Frage.

In einigen Kliniken werden aber vor der Durchführung einer allogenen Stammzelltransplantation Stammzellen des Patienten entnommen und eingefroren, um für den Fall, dass das neue Knochenmark nicht anwächst oder abgestoßen wird, eine Knochenmarkreserve des Empfängers zur Verfügung zu haben.

Hinweis zu Nabelschnurblut-Stammzellen: Der Einsatz eigener (autologer) Stammzellen aus Nabelschnurblut, die bei der Geburt gesammelt werden können, spielt zum heutigen Zeitpunkt in der Transplantationsmedizin keine nennenswerte Rolle. Nach bisherigem Kenntnisstand eignen sich die eigenen Nabelschnurblut-Stammzellen nicht für die Therapie einer eventuellen späteren Krebserkrankung. Sie werden, entgegen vieler Versprechungen kommerzieller Nabelschnurbanken, in der Regel auch nicht benötigt, da es im Falle einer autologen Stammzelltransplantation meistens die erwähnten Alternativen (Blut oder Knochenmark als Stammzellquelle) gibt (siehe auch Kapitel zur Stammzellgewinnung).

Allogene Blutstammzelltransplantation

Bei der allogenen Blutstammzelltransplantation [allogene Stammzelltransplantation erhält der Patient Blutstammzellen von einem anderen Menschen ("allo-" ist eine griechische Silbe und bedeutet "anders" oder "fremd"). Es kann sich dabei um einen Verwandten, meist ein passendes Geschwisterkind, oder um einen freiwilligen, unverwandten Spender handeln (umgangssprachlich wird auch von Familienspender- beziehungsweise Fremdspender-Transplantation gesprochen) [MUE2013d].

Entscheidend ist, dass der Spender mit dem Patienten bezüglich bestimmter Gewebemerkmale auf der Oberfläche der weißen Blutzellen, den so genannten HLA-Merkmalen (englische Abkürzung für: "human leukocyte antigens"), weitgehend übereinstimmt. Das ist wichtig:

  1. damit die Gefahr der Transplantatabstoßung (Empfänger-gegen-Transplantat-Reaktion oder Empfänger-gegen-Spender-Reaktion; englisch: "Host-versus-Graft"-Reaction, (HvG) nicht zu groß ist und
  2. damit die Abwehrreaktionen der gespendeten Blutstammzellen gegen den Organismus des Empfängers nicht zu stark ausfallen. Die letztere, lebensgefährliche Immunreaktion wird als Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (englisch: "Graft-versus-Host-Disease", GvHD) bezeichnet.

Die allogene Stammzelltransplantation kommt vorzugsweise bei Krankheiten in Frage, bei denen das Knochenmark direkt von der Grunderkrankung betroffen ist oder bei denen die Zellen, die von Blutstammzellen gebildet werden (beispielsweise rote Blutkörperchen oder Abwehrzellen) nicht richtig funktionieren. In solchen Fällen können keine gesunden eigenen Stammzellen gewonnen und transplantiert werden.

Allogene Stammzelltransplantationen bei Kindern und Jugendlichen können bei folgenden Krankheiten durchgeführt werden:

Eine Übersicht der diversen nicht-malignen Erkrankungen, die eine Indikation für eine allogene Stammzelltransplantation haben, können Sie Tabelle 1 entnehmen.

Tabelle 1: Übersicht nicht-maligner Erkrankungen, für die eine allogene Stammzelltransplantation eine zur Heilung führende Therapie bedeutet
Erkrankungsart
Name der Erkrankung
ANGEBORENE ERKRANKUNGEN
Erkrankungen der Erythropoese (rote Blutzellen)
Transfusionsabhängige Thalassämien
Sichelzellerkrankung
kongenitale erythropoetische Porphyrie (M. Gunther)
kongenitale Dyserythropoetische Anämie (Typ I und II)
Knochenmarksversagen-Syndrome
Panzytopenien
Fanconi-Anämie
Shwachman-Diamond-Syndrom
Dyskeratosis congenita
Aplasie der roten Blutkörperchen
Diamond-Blackfan-Anämie
Neutropenie
Schwere angeborene Neutropenie
Thrombozytopenie
Congenitale Amegakaryozytische Thrombozytopenie
Makrophagenaktivierungssyndrome
Hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH)
Criscelli-Syndrom
Chediak-Higashi-Syndrom
Immundefekte
Schwerer kombinierte Immundefekte (SCID)
SCID +/- B/- T-Zellen
ADA defizienter SCID
Non-SCID Immundefekte
Omenn’s-Syndrom
Wiskott-Aldrich-Syndrom
CD40-Liganten-Defizienz
Leukozyten Adhäsions Defekt (LAD)
Chronische granulomatöse Erkrankung (CDG)
x-linked proliferative Erkankungen
Stoffwechselerkrankungen
Hurler-Syndrom
X-linked Adrenoleukodystropie (ALD)
Metachromatische Leukodystrophie (MLD)
Maligne infantile Osteopetrosis
ERWORBENE ERKRANKUNGEN
Schwere aplastische Anämie (SAA)
Myelodysplastisches Syndrom Typ RC

Durch die Einführung des Neugeborenenscreenings für angeborene Immundefekte und für die Sichelzellkrankheit können diese Erkrankungen nun entdeckt werden, bevor die Kinder schwer erkranken. Auch ermöglicht die erhöhte Verfügbarkeit von genetischen Untersuchungen bei Patienten mit unklaren Krankheitsbildern abseits der klassischen Immundefekte, diese genauer zu diagnostizieren und frühzeitig einer allogenen Stammzelltransplantation zuzuführen.

Für angeborene Erkrankungen mit "defekten" Blutstammzellen entspricht die allogene Stammzelltransplantation einer Art Gentherapie. Die direkte "genetische Korrektur" der eigenen kranken Stammzellen mittels Gentherapie hat in den letzten Jahren für zahlreiche Erkrankungen deutliche Fortschritte gemacht. Sie führte zur Zulassung eines Gentherapiepräparats für Patienten älter als 12 Jahre, die an einer Beta-Thalassämie erkrankt sind. Leider hat sich die Firma, die das Produkt entwickelt hat, im Jahr 2021 vom europäischen Markt zurückgezogen, sodass die Therapie aktuell nicht zur Verfügung steht.
Weiterhin steht eine Gentherapie für Patienten mit Adenosindesaminase-Mangel (ADA SCID), für die es keinen geeigneten Stammzellspender aus der Familie gibt, ist, zur Verfügung. Aktuell laufen diverse Zulassungsstudien für mehrere nicht-maligne Erkrankungen. Mit weiteren Zulassungen für andere Erkrankungen ist in den kommenden Jahren zu rechnen.

Bei vielen angeborenen Erkrankungen sind passende (HLA-idente), klinisch gesunde Geschwister häufig Merkmalsträger dieser durch die Eltern vererbten Erkrankung (wie beide Elternteile auch). Das ist für Erkrankungen der Blutbildung wie die Beta-Thalassämie oder Sichelzellerkrankung kein Problem.
Bei Stoffwechselerkrankungen, die auf einem Enzymdefekt beruhen und der Mangel eines bestimmten Enzyms zur Erkrankung führt, besteht aber die Möglichkeit, dass bei der Übertragung von Stammzellen von verwandten Merkmalsträgern auch der Enzymdefekt beim Empfänger der Stammzellen abgeschwächt weiterbesteht. Wenn aber das Ziel ist, dass nach der Transplantation beim Emppänger 100 % der Enzymdosis vorhanden ist, sollte ein gesunder, unverwandter Spender bevorzugt werden.

Syngene Blutstammzelltransplantation

Unter einer syngenen Blutstammzelltransplantation (HSZT) versteht man die Übertragung von Blutstammzellen, deren Spender der eineiige Zwilling des Patienten ist. Da eineiige Zwillinge dieselben Gene haben und damit auch dieselben Gewebemerkmale aufweisen, ist die syngene Stammzelltransplantation somit der sehr seltene Sonderfall einer völlig HLA-identischen allogenen Transplantation.

Syngene Transplantationen sind sehr gut verträglich. In den seltensten Fällen erfolgt eine Abstoßung des Transplantats. Für Patienten, die an einer angeborenen Erkrankung des Blutes leiden, kann eine HSZT vom syngenen Geschwister nicht in Frage kommen, da der eineiige Zwilling dieselbe Krankheit haben muss.