Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (GvHD)
Autor: Dr. med. habil. Gesche Tallen, Maria Yiallouros, Redaktion: Julia Dobke, Freigabe: PD Dr. med. S. Voigt, Zuletzt geändert: 19.03.2024 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e267881
Inhaltsverzeichnis
Die Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (englisch: "Graft-versus-Host-Disease", "GvHD") ist eine Komplikation, die speziell bei der allogenen Blutstammzelltransplantation auftritt. Sie kommt bei der autologen Stammzelltransplantation nicht vor.
Akute Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (aGvHD)
Von einer akuten Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (acute Graft-versus-Host-Disease, aGvHD) spricht man in der Regel dann, wenn sich die Reaktion der Spenderzellen gegen den Organismus des Empfängers innerhalb der ersten 100 Tage nach SZT bemerkbar macht.
Die Spender-gegen-Empfänger-Reaktion, auch „Transplantat-gegen-Empfänger-Reaktion“ oder „Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion“ genannt, stellt eine genaue Umkehrung der zum Beispiel aus der Organtransplantation bekannten Abstoßungsreaktion dar. Denn während sich bei der Transplantatabstoßung die Immunabwehr des Empfängers gegen Zellen des Spenders richtet (Empfänger-gegen-Transplantat-Reaktion oder Empfänger-gegen-Spender-Reaktion), greifen im umgekehrten Fall – also bei der Spender-gegen-Empfänger-Reaktion – die Immunzellen des Spenders (die T-Lymphozyten) den Körper des Empfängers an.
Auch wenn die entscheidenden Gewebemerkmale von Spender und Empfänger übereinstimmen (das ist die Grundvoraussetzung für eine allogene Stammzelltransplantation (SZT), unterscheidet sich das „neue“ Knochenmark in manchen Eigenschaften von dem des Patienten. Die Abwehrzellen des Spenders, die im Transplantat enthalten sind, können daher einige Gewebemerkmale des Empfängers als "fremd" erkennen und versuchen, sie wie eingedrungene Fremdstoffe (Antigene) zu vernichten.
Da es sich bei dem Gewebe des Patienten aber nicht um Antigene handelt, die durch die Abwehrzellen des Spenders – wie bei einer normalen Immunantwort – beseitigt werden können, muss das Transplantat "lernen", sich an seine neue Umgebung zu "gewöhnen" und sie anzunehmen. Die Experten sprechen auch von Immuntoleranz. Solange sich diese Immuntoleranz noch nicht entwickelt hat, liegt unterschwellig eine Spender-gegen-Empfänger-Reaktion vor. Wird diese klinisch auffällig, das heißt, der Patient wird krank, spricht man von einer Spender-gegen-Empfänger-Erkrankung. Häufig werden die beiden Begriffe allerdings gleichwertig verwendet.
Die Spender-gegen-Empfänger-Reaktion beginnt in der Regel zeitgleich mit dem "Anwachsen" des Transplantats beim Empfänger, also mit der Regeneration des Knochenmarks nach der Transplantation. Sie macht sich zunächst durch eine Rötung der Haut bemerkbar und kann im weiteren Verlauf zu Schädigungen der Darmschleimhaut und der Leber führen.
Die Krankheit kann, wenn sie unbehandelt bleibt, ein lebensbedrohliches Ausmaß annehmen. Aus diesem Grund wird im Rahmen einer allogenen HSZT immer eine vorbeugende Behandlung (GvH-Prophylaxe) durchgeführt. Diese Prophylaxe kann zwar in der Regel das Auftreten einer Spender-gegen-Empfänger-Reaktion nicht verhindern, jedoch deren Schweregrad deutlich vermindern (siehe unten).
Gut zu wissen: Es gibt eine akute und eine chronische Form der Spender-gegen-Empfänger-Erkrankung (GvHD). Als Unterscheidungskriterium dient in erster Linie der Zeitpunkt, zu dem die Reaktion stattfindet: Eine GvHD bis 100 Tage nach der Transplantation ist definitionsgemäß „akut“, anschließend „chronisch“.
Symptome
Die akute GvHD befällt vor allem Haut, Darm und Leber. Am häufigsten kommt es zu einem Masern-ähnlichen Hautausschlag, der sich – je nach Schweregrad – als leichte Rötung, aber auch in Form schwerer entzündlicher Hautveränderungen äußern kann. Ein Befall des Darmes zeigt sich durch Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle, die von Bauchschmerzen begleitet sein können.
Bei einem Teil der Patienten kommt es außerdem zu einer Beeinträchtigung der Leberfunktion, die sich durch einen Anstieg der Leberwerte und zum Teil auch durch Gelbsucht bemerkbar macht. In seltenen Fällen kann (trotz Behandlung) die Leberfunktionsstörung lebensbedrohliche Ausmaße annehmen und/oder es kann zu schweren Blutungen aus dem Darm kommen.
Häufigkeit und Schweregrad
Etwa 20-40 % der Kinder sind nach der Stammzelltransplantation von einer akuten GvHD betroffen. Im Allgemeinen ist das Auftreten dieser Reaktion vom Alter und vom Transplantat abhängig, aber auch individuelle Faktoren des Patienten spielen eine Rolle.
Je nachdem, welche Organe betroffen sind und wie schwer sich die Erkrankung äußert, werden vier verschiedene Grade der aGvHD unterschieden (I-IV) [EBE2006a]. Die leichteren Formen, Grad I-II, sind bei bösartigen Erkrankungen wie beispielsweise Leukämien durchaus erwünscht, da sie sich auch gegen den Tumor/die Leukämie richten (Spender-gegen-Leukämie-Reaktion). Die schweren Formen (III-IV) der aGvHD sind bei einem gut passenden Spender im Kindes- und Jugendalter eher selten.
Chronische Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (cGvHD)
Als chronische Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (chronic Graft-versus-Host-Disease, cGvHD) bezeichnet man eine Reaktion, die zu einem späteren Zeitpunkt, also nach Tag +100 auftritt. Die chronische GvHD kann sich direkt aus einer akuten GvHD entwickeln. Sie kann aber auch im Anschluss an eine beschwerdefreie Phase nach der akuten GvHD oder sogar ohne eine vorangegangene akute GvHD entstehen.
Zu einer chronischen GvHD kommt es dann, wenn sich die Spenderzellen nicht an das Empfängergewebe gewöhnen, der immunologische Lernprozess also nicht gelingt und damit die erwünschte Immuntoleranz nicht erreicht wird. Diese Komplikation ist umso wahrscheinlicher, je weniger nahe der Spender dem Empfänger bezüglich seiner Gewebemerkmale steht.
Symptome
Die chronische GvHD ist ein eigenes Krankheitsbild. Sie gleicht in vielerlei Hinsicht einer Abwehrschwächekrankheit (Immundefekt), in anderer Hinsicht aber auch Krankheiten, bei denen sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper wendet, wie es bei den so genannten Autoimmunkrankheiten der Fall ist.
Häufig betroffene Organe sind die Haut, die Augen, die Mundschleimhaut, die Speicheldrüsen, der Darm, die Leber und die Lunge. Die Krankheit kann lokal begrenzt sein (zum Beispiel auf Haut, Schleimhäute, Bindehäute) und die Lebensqualität des Patienten entsprechend beeinträchtigen. Sie kann aber auch auf systemische Weise gleich mehrere Organsysteme betreffen und damit zu einer schweren, lebensbedrohlichen Komplikation werden.
Am häufigsten führt die chronische GvHD zu Hautveränderungen (zum Beispiel mit Rötung, Trockenheit, Juckreiz, Veränderung der Hautfarbe, Hautverhärtung) sowie zu ausgeprägter Trockenheit von Mundschleimhaut und Bindehaut. Die Mundschleimhaut ist dann sehr empfindlich gegenüber Säuren und scharfen Gewürzen; außerdem kommt es häufiger zu Karies und Parodontose, denn unser Speichel hat eine wichtige Schutzfunktion gegenüber bakteriellen Schäden.
Ist der Darm betroffen, kann es, wie bei einer akuten GvHD, zu Übelkeit, Erbrechen, schmerzhaften Durchfällen und infolgedessen zu einer verminderten Nährstoffaufnahme und Gewichtsverlust kommen. Eine Leberbeteiligung zeigt sich durch steigende Leberwerte im Blut und zum Teil Gelbsucht. Eine chronische GvHD der Lunge führt zu entzündlichen Veränderungen des Lungengewebes und kann sich durch Reizhusten und Atemnot bemerkbar machen. Auch Muskel- und Gelenkbeschwerden kommen vor.
Häufigkeit und Schweregrad
Auch bei der schweren chronischen GvHD (cGvHD) werden verschiedene Schweregrade unterschieden [EBE2006a]. Die Erkrankung kann „subklinisch“ sein, das heißt, sie ist noch ohne Symptome, lässt sich aber feingeweblich nachweisen. Bei einer begrenzten (limitierten) cGvHD ist die Haut lokal befallen und/oder es liegt eine Funktionsstörung der Leber vor. Sind mehrere Organe oder Organsysteme betroffen, sprechen die Experten von einer ausgedehnten (extensiven) cGvHD. Bei etwa 10-15 % aller Patienten im Kindesalter kommt es zu einer schwereren chronischen GvHD.
Gut zu wissen: Da die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer chronischen GvHD größer ist, wenn ihr eine akute GvHD vorausgeht, wird das Behandlungsteam besonderes Augenmerk darauf legen, der Krankheit von vornherein durch entsprechende vorbeugende und behandelnde Maßnahmen entgegenzuwirken.
Vorbeugung und Behandlung der Spender-gegen-Empfänger-Reaktion
Um der akuten Spender-gegen-Empfänger-Reaktion(GvHD) vorzubeugen oder diese zu behandeln, wird im Allgemeinen eine Therapie durchgeführt, die die Abwehrreaktionen des Transplantats unterdrückt. Es handelt sich um eine so genannte immunsuppressive Therapie (Immunsuppression).
Derzeit gibt es mehrere Verfahren zur GvH-Prophylaxe, die unterschiedliche Vor- und Nachteile haben. Zum Einsatz kommen dabei unter anderem Substanzen wie Anti-Thymozyten-Globulin, Methotrexat sowie Cyclosporin A. Tritt dennoch eine akute GvHD auf, besteht die Ersttherapie in der Gabe von Kortison, das die meisten Reaktionen zum Abklingen bringt. Das Transplantationsteam wählt – je nach der Krankheitssituation Ihres Kindes – die individuell passende Behandlung aus. Ausführlichere Informationen zu den verschiedenen Maßnahmen finden Sie im Anschluss.
Entfernung der T-Lymphozyten
Die effektivste Methode zur Vorbeugung der Spender-gegen-Empfänger-Reaktion ist, die für die Krankheit verantwortlichen T-Lymphozyten zu entfernen. Eine solche als „T-Zell-Depletion“ bezeichnete Maßnahme kann durch Gabe bestimmter Antikörper (zum Beispiel Anti-Thymozyten-Globulin (ATG) oder Alemtuzumab) in der Konditionierung im Körper („in vivo“) erreicht werden.
Eine andere Methode ist, die T-Lymphozyten außerhalb des Körpers („ex vivo“) vor der Stammzelltransplantation durch verschiedene Methoden aus dem Transplantat entfernt (ex vivo T-Zell-Depletion). Letztere Methode wird vor allem dann eingesetzt, wenn sich Spender und Empfänger in wesentlichen Gewebemerkmalen unterscheiden. Das Verfahren bringt jedoch auch Probleme mit sich, denn die mögliche Abwehrreaktion zwischen Spender und Empfänger wird nunmehr wieder in Richtung des Empfängers verschoben, was ein erhöhtes Risiko der Transplantatabstoßung zur Folge hat.
Insgesamt werden bei nicht bösartigen Erkrankungen praktisch immer Methoden der T-Zell-Depletion eingesetzt, weil man sicher eine schwere GvHD vermeiden möchte, von der diese Patienten keinen Nutzen haben.
Cyclosporin A
Das wichtigste medikamentöse Mittel zur Vorbeugung und Behandlung einer Spender-gegen-Empfänger-Reaktion ist Cyclosporin A (CSA, alter Handelsname Sandimmun®). Es handelt sich dabei um ein Antibiotikum. Cyclosporin A verhindert, dass die Lymphozyten zu bestimmten Abwehrreaktionen angeregt werden und hemmt damit auch die Abwehrreaktion der Spenderlymphozyten gegen das Gewebe des Patienten.
Das Medikament besitzt jedoch eine ganze Reihe von Nebenwirkungen; insbesondere schädigt es die Leber und die Nieren und verursacht Bluthochdruck. Diese Nebenwirkungen treten allerdings in den meisten Fällen nur dann auf, wenn die Konzentration des Medikaments im Blut (Blutspiegel des Medikaments) zu hoch ist. Da die Cyclosporin A-Menge, die für eine ausreichende GvH-Prophylaxe notwendig ist, von Patient zu Patient stark schwankt, muss der Blutspiegel der Substanz regelmäßig kontrolliert werden.
Eine weitere Nebenwirkung von Cyclosporin A ist beispielsweise das Auftreten von Zittern, meist jedoch nur zu Beginn der Behandlung und bei hohen Blutspiegeln. Oft wird auch beobachtet, dass die Körperbehaarung zunimmt und das Zahnfleisch sich verändert. Diese Nebenwirkungen können sich nach dem Absetzen des Medikaments allerdings wieder zurückbilden.
Einige Zentren verwenden alternativ auch das dem CSA eng verwandte Tacrolimus (Prograf®). Bei GvHD der Haut- und Schleimhäute werden gern Tacrolimus-haltige Salben verabreicht.
Glukokortikoide und Methotrexat
Neben Cyclosporin A werden auch Glukokortikoide (wie Kortison) und das Zytostatikum Methotrexat (MTX) eingesetzt. Methotrexat wird nur zur Vorbeugung einer GvHD eingesetzt und kann zu den Mundschleimhautschädigungen beitragen, die in der Frühphase nach Stammzelltransplantation regelmäßig auftreten. Kortison wird meist nur zur Behandlung einer GvHD eingesetzt.
Im Allgemeinen kann mit den genannten Substanzen in der überwiegenden Zahl der Fälle eine Spender-gegen-Empfänger-Reaktion wirksam unterdrückt werden. Führt die Behandlung zunächst nicht zum Erfolg, kann dies durch zwischenzeitlich häufigere Gaben von Glukokortikoiden angestrebt werden.
Extrakorporale Photopherese (ECP)
Wegen guter Wirksamkeit bei geringen Nebenwirkungen wird immer häufiger die Extrakorporale Photopherese (ECP) eingesetzt. Bei diesem Verfahren werden mittels eines Blutzellseparators (Photopheresegerät) die weißen Blutkörperchen, welche die GvHD verursachen, vom Rest des Blutes getrennt (abzentrifugiert) und mit einem Medikament (8-Methoxypsoralen, Präparat Uvadex ®) versetzt.
Anschließend werden diese Zellen speziellen langwelligen UV-Strahlen (UVA, ähnlich wie Sonnenlicht) ausgesetzt und dann über den zentralen Venenkatheter zurückgegeben. Medikamente und Strahlen führen zur Zerstörung der krankheitsverursachenden weißen Blutzellen.
Photopherese-Behandlungen werden von Ärzten und Krankenschwestern durchgeführt, welche in diesem Verfahren geschult sind. Sie sind nicht in jeder Klinik möglich. Die Behandlungen erfolgen je nach dem Gesundheitszustand des Patienten ambulant oder stationär. Die ECP findet an zwei aufeinanderfolgenden Tagen statt (entspricht einem Zyklus). Die Zyklen werden alle zwei, später alle vier Wochen wiederholt. Häufig kann durch den Einsatz der ECP die Einnahme von Kortison zur Therapie der GvHD reduziert oder gar beendet werden.
Dauer der Behandlung
Die Behandlung einer Spender-gegen-Empfänger-Reaktion muss so lange erfolgen, bis diese eindeutig abgeklungen ist. Dies dauert oftmals mehrere Wochen, bei einer chronischen Spender-gegen-Empfänger-Reaktion manchmal auch Jahre. Bei letzterer können weitere, hier noch nicht genannte Therapieverfahren zur Anwendung kommen. Schwere Formen der chronischen GvHD sind jedoch oft nicht befriedigend behandelbar.