Behandlung: Wie werden Patienten mit von-Willebrand-Erkrankung behandelt?

Autor:  PD Dr. med.G. Tallen, Prof. Dr. med. R. Schneppeneheim, Zuletzt geändert: 09.10.2023 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e263623

Wurde bei Ihrem Kind eine von-Willebrand-Erkrankung (VWE) festgestellt, so sollte es in einem spezialisierten Behandlungszentrum betreut werden. Dort findet eine Betreuung durch ein Behandlungsteam statt, das aus Ärzten und anderen Mitarbeitern (wie Pflegefachkräfte, Sozialarbeiter, Physiotherapeuten, Psychologen) besteht, die alle Erfahrung mit der Erkrankung haben. Regelmäßige Vorstellungen in einem solchen Zentrum sorgen dafür, dass der Krankheitsverlauf sorgfältig überwacht wird. Komplikationen können frühzeitig erkannt und unmittelbar von Spezialisten behandelt werden. Die Patienten und ihre Angehörigen erhalten dort auch fachgerechte Antworten auf ihre Fragen, seien sie zum Umgang mit der Erkrankung im Alltag, zu neuen Behandlungsmethoden und aktuellen Forschungsergebnissen oder sozialrechtlichen und psychosozialen Themen.

Allgemeine Informationen zur Behandlung

Man unterscheidet bei der VWE, Behandlungen bei einer akuten Blutung und vorbeugende Maßnahmen beispielsweise vor operativen Eingriffen oder auch als Dauertherapie (Prophylaxe). Die Behandlungen von Patienten mit VWE werden dem Typ der VWE und dem damit verbundenen Blutungsrisiko angepasst (siehe „Krankheitsformen“):

Behandlungsmethoden

Folgende Behandlungen mit Medikamenten stehen Patienten mit VWE derzeit zur Verfügung

  1. Erhöhung des körpereigenen von-Willebrand-Faktors (VWF) im Blut
  2. Ersatz von VWF
  3. Zusatzbehandlungen.

Vasopressin (Desmopressin, DDAVP)

Vasopressin (DDAVP) ist ein Botenstoff (Hormon), der die Konzentration des von-Willebrand-Faktor (VWF) im Blut steigern kann. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der VWE-Patient selbst funktionstüchtigen VWF bilden kann. Nur dann können Blutungen, auch solche im Rahmen kleinerer operativer Eingriffe, überhaupt mit DDAVP (MinirinR) behandelt werden. Dieses Ansprechen der VWE auf DDAVP, wird in der Regel vor der Behandlung durch einen Labortest (so genannter DDAVP-Test) geprüft. DDAVP kann über eine Vene oder - allerdings weniger sicher - als Nasenspray gegeben werden.

Eltern sollten wissen:

  • DDAVP ist nur für Kinder mit VWE Typ 1 und mit bestimmten Untergruppen vom Typ 2 (siehe „Krankheitsformen“) geeignet
  • Patienten mit defekter Funktion des VWF (VWE Typ 2-Untergruppen) oder mit fehlendem VWF (VWE Typ 3) sprechen auf eine Behandlung mit DDAVP nicht an. Beim VWE Typ 2B kann es nach DDAVP sogar spontan zu einem starken Abfall der Blutplättchen kommen und dadurch zur Verstärkung von Blutungskomplikationen;
  • Kleine Kinder, die jünger als drei Jahre alt sind, sowie Kinder mit Anfallsleiden (Epilepsie) und Herzerkrankungen sollten nicht mit Vasopressin behandelt werden;
  • DDAVP kann nach einer bestimmten Anzahl von Verabreichungen unwirksam werden. Daher muss die individuelle Ansprechbarkeit regelmäßig kontrolliert werden;
  • Patienten, die das Medikament im häuslichen Bereich bei Blutungen, wie einer verstärkten Regel- oder bei heftigem anhaltendem Nasenbluten als Nasenspray einsetzen, müssen sich streng an die vom Arzt festgelegten Dosierungen halten. Sie sollten also keinesfalls öfter sprayen, als es verordnet wurde oder die Pausen zwischen dem Sprayen verkürzen. Der Grund hierfür ist: Vasopressin beeinflusst den körpereigenen Wasserstoffwechsel so stark, dass es bei unkontrollierter Einnahme des Medikaments zu gefährlichen Entgleisungen des Flüssigkeitshaushalts kommen kann. Deshalb sollte auch bei fachgerechter DDAVP-Anwendung die Flüssigkeitszufuhr für 24 Stunden auf 2/3 des normalen Tagesbedarfs eingeschränkt werden.

Ersatz von VWF (Faktor-Substitutionstherapie)

Seit etwa 50 Jahren gibt es Konzentrate von Gerinnungsfaktoren zur Behandlung von Patienten mit Hämophilie und VWE. Bei diesen Faktorkonzentraten handelt es sich um Gerinnungsfaktoren (zum Beispiel Faktor VIII), die zuvor aus menschlichem Blutplasma gewonnen wurden. Die aus Plasma gewonnenen Faktor VIII-Konzentrate enthalten in vielen Fällen auch ausreichende Mengen an VWF und stehen daher auch für die Vorbeugung und Therapie der VWE zur Verfügung. .

Hingegen enthalten gentechnisch hergestellte Faktor VIII-Konzentrate keinen VWF. Sie sind daher für die Behandlung der VWE nicht geeignet. Seit einigen Jahren ist jedoch zusätzlich ein gentechnisch hergestelltes hochreines von Willebrand-Faktor-Konzentrat für die Behandlung von Erwachsenen (größer 18 Jahre) zugelassen. Medikation die Therapie mit Faktorkonzentraten ermöglicht den gezielten Ersatz des VWF. Die Gabe von Faktorkonzentraten wird als Substitutionstherapie bezeichnet („Substitution“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Ersatz“).

Sie ist besonders bei Patienten angezeigt, bei denen die Behandlung mit DDAVP unwirksam oder nicht angezeigt ist. Die Gabe von VWF-Konzentrat erfolgt über eine Vene (intravenös). Patienten und Eltern sollten wissen:

Die Faktorbehandlung kann von den Eltern oder Patienten – nach einer entsprechenden Schulung – ohne fremde Hilfe zu Hause durchgeführt werden (Heimselbstbehandlung).

Sehr selten entwickeln Patienten mit einer VWE Typ 3 bestimmte Eiweiße (Antikörper), die den zugeführten VWF als Fremdling wahrnehmen und daraufhin abwehren. Durch die Antikörperbildung kann die Substitutionsbehandlung (siehe oben) unwirksam werden. Zusätzlich kann es zu allergischen Reaktionen und Schädigung der Nieren kommen.

Zusatzbehandlung mit Antifibrinolytika

Die Einnahme eines Medikamentes, welches die Auflösung von Gerinnseln hemmt, eines so genannten Antifibrinolytikums (beispielsweise Tranexamsäure), ist manchmal insbesondere bei Blutungen im Schleimhautbereich sinnvoll. Das Medikament kann in Tablettenform eingenommen oder über eine Vene verabreicht werden. Nebenwirkungen werden bei Kindern selten beobachtet. In Abhängigkeit von der Art des Eingriffs und der Lokalisation der Blutung wird ein Antifibrinolytikum oft in Kombination mit Vasopressin oder Faktorkonzentrat (siehe oben) eingesetzt.

Mögliche Komplikationen der Behandlung mit Faktorkonzentraten

Die übertragung von Infektionen (HIV, Hepatitis A/B) durch Faktorkonzentrate treten heute praktisch nicht mehr auf. Andere mögliche Komplikationen wie allergische Reaktionen oder die plötzliche Bildung eines Blutgerinnsels (Thrombose, Thromboembolie), die mit einer Faktorsubstitution einhergehen können, sind insgesamt sehr selten.

Spezielle Behandlungen

Patienten mit VWE Typ 1 und Typ 2

Patienten mit der leichten und häufigsten Form, dem VWE Typ 1, benötigen nur selten Medikamente zur Vorbeugung von Blutungskomplikationen. Wie auch bei den meisten Patienten mit Typ 2 ist bei ihnen eine Bedarfstherapie, zum Beispiel eine örtliche (lokale) Behandlung (Druckverband an der Blutungsstelle), in der Regel ausreichend. Die Verabreichung von blutungsvorbeugenden beziehungsweise blutungsstoppenden Medikamenten wie Vasopressin (nur bei Patienten mit Typ 1 und manchen Unterformen des Typ 2 (siehe oben und Krankheitsformen“) oder Antifibrinolytika kann bei den Betroffenen beispielsweise vor oder während größerer Operationen notwendig sein. Dies gilt auch für Operationen in Körperregionen, in denen eine lokale Behandlung nicht möglich ist, zum Beispiel bei der Entfernung der Gaumenmandeln (Tonsillektomie), größeren Zahnbehandlungen oder Operationen im Bauchraum. Faktorkonzentrate kommen bei Patienten mit VWE Typ 1 gar nicht oder selten, beim Typ 2 gelegentlich bis häufiger zum Einsatz.

Patienten mit VWE Typ 3

Patienten mit einem schweren VWE benötigen oft eine – möglicherweise zeitlich begrenzte - Dauertherapie mit VWF-haltigen Konzentraten. Sie wird insbesondere nach wiederholten Gelenk- und Muskelblutungen in Betracht gezogen.

Patienten mit erworbenem VWS

Bei Patienten mit erworbenem VWS werden akute Blutungen im Allgemeinen zunächst mit Vasopressin behandelt. Bei etwa einem Drittel der Patienten kann dadurch die Blutung gestoppt werden. Die Gabe eines VWF-haltigen Konzentrats ist ebenfalls bei einem Drittel der Betroffenen wirksam, jedoch aus Kostengründen und dem - wenn auch geringen - Risiko der Übertragung von Viruserkrankungen nur Methode der 2. Wahl. Bei einem immunologischen Hintergrund des erworbenen VWS (siehe „Ursachen“) hilft auch die intravenöse Gabe von Immunglobulinen G.

Allgemeine Empfehlungen zur Vermeidung von Blutungen im Alltag

Für ein möglichst komplikationsloses Alltagsleben und eine entsprechend gute Lebensqualität sollten Patienten mit VWS und ihre Angehörigen sowie ihr soziales Umfeld (wie Freunde und Bekannte in Kindergarten, Schule, Ausbildungs- oder Arbeitsplatz) folgende Aspekte beachten:

Mitführung eines Notfallausweises

Kinder und Jugendliche mit gesicherter VWE sollten immer einen Notfallausweis bei sich tragen, in dem die genaue Diagnose (Typ 1, 2 oder 3; siehe „Krankheitsformen“), und weitere wichtige Informationen über den Patienten (zum Beispiel Blutgruppe und gegebenenfalls die im Notfall angezeigte Therapie) mitgeteilt werden.

Sport

Dank der modernen Behandlungsmethoden (siehe oben) können die meisten VWE-Patienten, auch von der schweren Form Betroffene, heute zahlreiche Sportarten betreiben. Für sie begünstigt Sport insbesondere:

  • Vorbeugung von Unfällen durch geschultes Körperbewusstsein/ Koordination
  • Stützung und Schutz der Gelenke durch trainierte Muskulatur
  • gesteigerte Belastbarkeit im Alltag durch trainiertes Herz-/Kreislaufsystem
  • Vorbeugung von Übergewicht, Herz-/Kreislauferkrankungen, Diabetes, Krebs und anderen Erkrankungen
  • Erhaltung und Förderung der Beweglichkeit
  • Verbesserung von psychischem Wohlbefinden (auch durch die soziale Integration in Gruppen und Vereinen).

Die Eignung der Sportart ist sehr von der Schwere und dem Typ des VWE abhängig. Für Patienten mit einem schweren VWS Typ 3 sollten wie bei der schweren Bluterkrankheit (Hämophilie) Kontaktsportarten und Ballsportarten mit hohem Verletzungsrisiko gemieden werden.

Eltern sollten wissen:

Im Hinblick auf verschiedene Risiken für VWE-Patienten sollten geeignete Sportarten in Absprache mit dem Behandlungsteam ausgesucht werden.

Zahnbehandlungen

Auch bei Patienten mit VWE kann eine gute Zahnpflege vielen Eingriffen vorbeugen. Vor bestimmten Behandlungen in der Mundhöhle (beispielsweise bei Wurzel-, Zahnfleischbehandlungen oder Zahnsteinentfernung) und beim Spritzen eines lokalen Betäubungsmittels sollten sich Zahnarzt und zuständiger Kinderarzt absprechen.

Operationen

Operationen können auch bei Patienten mit VWE nach einer gewissen Vorbehandlung (siehe oben) in der Regel komplikationslos durchgeführt werden. Eltern sollten wissen:

Entscheidend ist, dass die VWE bekannt ist. Der Operateur muss rechtzeitig und umfassend durch Kommunikation mit dem zuständigen Kinderarzt informiert sein.Ein Aufenthalt im Krankenhaus ist sicherer als eine ambulante Operation.

„Verbotene“ Medikamente

Wegen ihrer Wirkungen auf die Blutgerinnung sind vor allem blutverdünnende Medikamente für VWE-Patienten „verboten“, die Acetylsalicylsäure (ASS) enthalten. Daher empfiehlt es sich, vor der Einnahme/Gabe eines Schmerzmedikamentes immer den Beipackzettel zu studieren, um die Inhaltsstoffe zu erfahren.

Hausapotheke

Was die Hausapotheke für VWE-Patienten enthalten beziehungsweise nicht enthalten sollte, zum Beispiel zur Behandlung einer akuten Blutung, einer Erkältung (Husten, Schnupfen, einer Magen-Darm-Infektion), muss individuell mit dem Behandlungsteam des Patienten abgesprochen werden.