Ursachen von primären Thrombozytosen

Autor:  Prof. Dr. med. Markus Metzler, Zuletzt geändert: 17.01.2024 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e274894

Von einer primären Thrombozytose spricht man, wenn die gesteigerte Bildung von Blut Blutplättchen (Thrombozyten) durch eine genetisch bedingte Störung der Blutplättchen Produktion im Knochenmark entstanden ist. Zur Gruppe der primären Thrombozytosen gehören:

  • vererbte Erkrankungen der Thrombozyten (familiäre primäre Thrombozytose)
  • bösartige Erkrankungen des Knochenmarks (sporadische primäre Thrombozytose im Rahmen myeloproliferativer Neoplasien)

Familiäre (angeborene, erbliche) primäre Thrombozytose

Familiäre Formen der Thrombozytose sind sehr selten. Sie werden von den Eltern an ihre Kinder vererbt. Es gibt eine Reihe von genetischen Veränderungen, die dieser Form der primären Thrombozytose zugrunde liegen. Diese Veränderungen betreffen vor allem die Gene für den Botenstoff (siehe Zytokine) Thrombopoietin (THPO) sowie für dessen Bindungsstelle auf den Blut Blutplättchen, den Thrombopoietinrezeptor (MPL), außerdem das Gen JAK2 (siehe unten).

Vererbungsformen der familiären Thrombozytose

Es gibt verschiedene Wege, auf denen genetische Veränderungen, die zu angeborenen Erkrankungen wie der familiären Thrombozytose führen, vererbt werden. Die häufigsten Formen werden autosomal-dominant vererbt. Daneben gibt es extrem seltene autosomal-rezessive Formen.

Autosomal-dominanter Erbgang

bedeutet, dass die Erkrankung bei einem Kind bereits dann auftritt, wenn es die Veränderung auf dem betroffenen Gen (siehe oben) nur von einem Elternteil geerbt hat. Obwohl es also vom anderen Elternteil noch Erbinformation für eine normale Menge an gesundem Thrombopoietin oder Rezeptor erhalten hat, kommt die Krankheit zum Ausbruch. Das kranke Erbgut "setzt sich durch". Es ist also "dominant".

Autosomal-rezessiver Erbgang

bedeutet, dass ein Kind das veränderte Gen vom Vater und von der Mutter erhalten muss, damit die Krankheit auftritt. Die Eltern sind dabei jeweils so genannte Anlageträger. Das heißt, dass sie nicht an einer Thrombozytose erkrankt sein müssen, jedoch über veränderte Gene verfügen, die sie an ihre Nachkommen weitergeben können.

Genetische Beratung

Bei jeder Erbkrankheit besteht das Risiko, dass die Erkrankung oder die Anlage dafür an die Nachkommen weitergegeben wird. Wie hoch dieses Risiko ist, hängt vom jeweiligen Vererbungsweg ab (siehe oben). Bei den autosomal-dominant vererbten Formen der Thrombozytose beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung bei den Nachkommen auftritt, bei jeder Schwangerschaft 50 %, bei den autosomal-rezessiv vererbten Varianten 25 %. Bei den (seltenen) geschlechtsgebundenen Formen sind die Töchter zu 100 % Überträgerinnen der Erkrankung. Die Nachkommen einer solchen Überträgerin haben geschlechtsunabhängig eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, als Junge an einer Thrombozytose zu erkranken beziehungsweise als Mädchen Überträgerin zu sein. Daher wird empfohlen:

Alle Erkrankungsträger und erkrankten Patienten mit familiärer Thrombozytose sollten bei Kinderwunsch eine genetische Beratung in einem spezialisierten Zentrum wahrnehmen. Dort können die Risiken, die sich für das Kind ergeben, bestimmt und besprochen, und ebenso – für den Fall einer ebenfalls von einer Thrombozytose betroffenen Mutter - auch die möglichen Maßnahmen für eine komplikationslose Entbindung/Geburt veranlasst werden.

Sporadische primäre Thrombozytose

Die sporadische Form der primären Thrombozytose geht in der Regel von einer Stammzelle im Knochenmark aus, die sich plötzlich und ohne bekannte Ursache (sporadisch), genetisch verändert hat. Die Mutationen entstehen „einfach so“, das heißt ohne einen zugrundeliegenden Vererbungsmodus (siehe oben). Diese genetischen Veränderungen bewirken, dass die Stammzelle eine fehlerhafte Information zur Blut- beziehungsweise Thrombozytenbildung erhält. Die Mutationen werden dann bei jeder Zellteilung an die nächste Zellgeneration weitergegeben.

Bösartige Erkrankungen des Knochenmarks

Folgende bösartige Erkrankungen des Knochenmarks können mit einer solchen sporadischen primären Thrombozytose einhergehen:

Chronische myeloische Leukämie

Mit Nachweis eines verkürzten Chromosoms 22 (so genanntes Philadelphia-Chromosom beziehungsweise BCR/ABL1 Fusionsgen) - eine bei Kindern und Jugendlichen insgesamt seltene Form von Blutkrebs.

Myeloproliferative Neoplasien (MPN)

Eine Gruppe von Bluterkrankungen, bei denen in zwischen 30 (PMF) bis 90 Prozent (PV) der Fälle das Gen für die so genannte JAK2-Tyrosinkinase fehlerhaft verändert ist (JAK2-Mutation-V617F). In der Folge kann es zu einer unkontrollierten Vermehrung von Blutzellen wie den Thrombozyten und ihren Vorstufen, den Megakaryozyten, also zur Thrombozytose kommen. Zusätzlich oder – in JAK2-V617F-negativen Fällen – auch ohne diese Mutation können Veränderungen vor allem in den Genen CALR und MPL vorliegen, die zur Erkrankung beitragen oder diese verursachen.

Typische MPN mit JAK2-Mutation-V617F sind:

  • essentielle Thrombozythämie (ausgeprägte Thrombozytose)
  • Polyzythaemia vera (Überproduktion von roten Blutkörperchen, weißen Blutkörperchen und Blutplättchen)
  • Primäre Myelofibrose (fortschreitende Verödung, sogenannte Fibrosierung, des Knochenmarks mit fehlerhafter Blutbildung)

Insgesamt sind MPN-Veränderungen bei Kindern und Jugendlichen sehr viel seltener als bei Erwachsenen. Hinzu kommt, dass bei Kindern und Jugendlichen, bei denen weder in JAK2 noch in CALR oder MPL eine Mutation nachweisbar ist (= „triple-negative“), aber trotzdem die Diagnose einer myeloproliferativen Neoplasie gestellt wird (siehe Diagnose), der Prozentsatz deutlich höher ist als bei erwachsenen Patienten.