Behandlung: Wie werden Patienten mit Fanconi-Anämie behandelt?

Autor:  PD Dr. med. Gesche Tallen, Zuletzt geändert: 16.01.2023 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e264342

Überblick

Wurde bei einem Kind eine Fanconi-Anämie (FA) festgestellt, so sollte es in einem spezialisierten Behandlungszentrum betreut werden.

Hier haben die Fachärzte und das geschulte medizinische Personal Erfahrungen mit der FA-Behandlung. Nur an diesen Zentren sind beispielsweise Fachärzte für Hormonstörungen bei Kindern vorhanden, ein wichtiger Aspekt bei der Behandlung der FA.

Die regelmäßige Vorstellung des erkrankten Kindes in solch einem Zentrum ist sehr wichtig, damit der Krankheitsverlauf sorgfältig überwacht werden kann. Komplikationen, wie beispielsweise eine schwere Blutarmut, können auf diese Weise frühzeitig erkannt und unmittelbar behandelt werden. Außerdem können Fragen zum Umgang mit dem erkrankten Kind, zu den gängigen und neuen Behandlungsmethoden und aktuellen Forschungsergebnissen fachgerecht beantwortet werden.

Die derzeitige Standardbehandlung der FA besteht zum einen aus unterstützenden Maßnahmen (supportive oder symptomatische Therapie) mit Behandlung der gesundheitlichen Probleme wie beispielsweise der Blutarmut oder der Fehlbildungen (siehe "Krankheitszeichen"). Zum anderen gibt es neuere Therapieformen wie die Stammzell-Gentherapie. Bei manchen Patienten kann eine Stammzelltransplantation‎ (SZT) notwendig werden (siehe unten).

Der folgende Text bietet einen überblick über die Behandlungen für Patienten mit Fanconi-Anämie (FA) und deren Nebenwirkungen. Zudem sind bei FA-Patienten bestimmte Früherkennungsmaßnahmen empfohlen, die angesprochen werden. Der Text kann als Grundlage für Gespräche mit dem Behandlungsteam dienen. Welche dieser Behandlungen und Früherkennungsmaßnahmen bei einem bestimmten Patienten angezeigt ist, sollte von einem Team aus Spezialisten für Kinderblutkrankheiten entschieden werden.

Früherkennungsmaßnahmen

Die aufgeführten gesundheitlichen Probleme bei FA bedingen eine klinische Betreuung in Zentren, die mit der Behandlung von FA-Patienten vertraut sind. Neben der Behandlung (supportive/symptomatische Therapie, siehe unten) liegt der Schwerpunkt auf der frühzeitigen Erkennung von gesundheitlichen Komplikationen, um diese so rasch wie möglich zu behandeln. Regelmäßige Kontrollen bei FA-Patienten in Absprache mit dem behandelnden Team beinhalten unter anderem:

  • Regelmäßige Blutbildkontrollen und gegebenenfalls jährliche Knochenmarkpunktionen: Diese sind abhängig von Verlauf der Blutwerte und werden vom behandelnden Arzt festgelegt.
  • Aufgrund des Risikos für Plattenepithelkarzinome im Mund und Rachenraum gilt: Gute Zahnhygiene, eine zahnärztliche Kontrolle sollte alle 6 Monate (ohne Röntgen) erfolgen. Ab dem 10. Lebensjahr sollte zusätzlich eine halbjährliche Kontrolle der Mundschleimhaut zu Beispiel durch einen mit FA erfahrenen HNO-Arzt erfolgen. Zudem sollte Zigarettenrauch (auch passives Rauchen und Dampf von E-Zigaretten), Alkoholkonsum (inklusive Gebrauch von alkoholhaltigen Zahnspülungen) vermieden werden. Gynäkologische Kontrollen bei Mädchen zur Krebsfrüherkennung sind bereits ab 13. Lebensjahr empfohlen sowie die frühzeitige Durchführung von HPV Impfungen bei Jungen und Mädchen.
  • Jährliche Kontrollen beim Hautarzt sowie das Achten auf Sonnenschutz (Verwendung von Cremes mit hohem Lichtschutzfaktor, kein Sonnenbaden).
  • Überwachung des Hormonhaushaltes mit Beurteilung des Wachstums, des Pubertätsstatus und des Zuckerhaushaltes sollte bei Kindern mit FA mindestens einmal pro Jahr erfolgen.
  • Jährliche Kontrolle der Leberwerte, unter Androgentherapie (siehe symptomatische Behandlung), sind gegebenenfalls häufigere Kontrollen notwendig.
  • Bei Diagnose einer FA sollte ein Hörstatus durch einen Hals-Nasen-Ohrenarzt erfolgen (Ausschluss Hörverlust), sowie anschließend regelmäßige Hörtests durchgeführt werden.
  • Bei Diagnose einer FA eine Beurteilung hinsichtlich von knöchernden Anlagestörungen, Herz- und Nierenfehlbildung, sowie gegebenenfalls Beurteilung der Lungenfunktion.
  • Weitere Maßnahmen können notwendig sein, abhängig von der individuellen Situation, der zugrundeliegenden genetischen Veränderung (insbesondere bei FANCD/BRCA1, FANCN/PALB2) sowie der aktuellen Therapie.

Behandlung gesundheitlicher Probleme (supportive / symptomatische Therapie)

Die supportive oder symptomatische Therapie beinhaltet insbesondere folgende Maßnahmen bei verschiedenen erkrankungsbedingten Beschwerden:

Behandlung der Blutarmut/des zunehmenden Knochenmarkversagens

Bluttransfusionen:

Im Anfangsstadium einer FA kann die gestörte Blutbildung meist durch Bluttransfusionen ausgeglichen werden. Darunter versteht man den Erhalt von roten Blutkörperchen (Erythrozytenkonzentrat) oder Blutplättchen (Thrombozytenkonzentrat).

Der Patient erhält dabei über eine Vene (meist in der Ellenbeuge) rote Blutkörperchen oder Blutplättchen von einem gesunden Spender. Regelmäßige Transfusionen von Erythrozytenkonzentraten können zu einer Eisenüberladung des Organismus´ führen.

Deshalb werden diese Transfusionen nur in besonderen Situationen verabreicht. Hierzu zählen zum Beispiel eine Schwangerschaft, das Auftreten ausgeprägter Zeichen einer Blutarmut oder wenn der rote Blutfarbstoff (Hämoglobin‎) stark unter einen bestimmten Normalwert abfällt. Der jeweilige Normalwert hängt vom Alter des Patienten ab. Grundsätzlich müssen die Fachärzte wegen des Risikos einer Eisenüberladung immer sorgfältig abwägen, ob und wann eine Bluttransfusion bei einem Patienten mit FA angezeigt ist.

Hier erhalten Sie weitere Informationen zur Eisenüberladung

Wachstumsfaktoren/Androgene:

Bei vielen Patienten ist das Knochenmark noch in der Lage, selbst Blutzellen zu produzieren. Das Knochenmark hat noch nicht vollständig versagt hat (siehe "Ursachen"), und es können so genannte Wachstumsfaktoren eingesetzt werden.

Bei den Wachstumsfaktoren handelt es sich um künstlich hergestellte Substanzen wie bestimmte Hormone (beispielsweise Androgene) oder auch bestimmte zellwirksame Eiweiße (Proteine), so genannte Zytokine (zum Beispiel Granulozyten-stimulierender Faktor, G-CSF).

Diese Medikamente können auf unterschiedliche Weise das Wachstum und die Ausreifung von roten und weißen Blutzellen sowie Blutplättchen anregen. Einige Patienten zeigen entweder stabile Blutwerte oder nur gering zunehmendes Knochenmarkversagen, weil sie über viele Jahre hinweg erfolgreich mit Androgenen behandelt werden können.

Die Behandlung mit synthetisch hergestellten Hormonen kann jedoch gleichzeitig zu schweren Wachstums- und Störungen der Pubertätsentwicklung sowie Akne und Funktionsstörungen und Tumoren der Leber führen. Wegen dieser Nebenwirkungen müssen die ärzte sorgfältig abwägen, ob und wann eine Behandlung mit Wachstumsfaktoren bei einem Patienten mit FA angezeigt ist.

Zusätzliche Behandlungsansätze:

Zurzeit werden weitere Medikamente wie Metformin (eigentlich ein blutzuckersenkendes Medikament) in Studien in ihrer Wirksamkeit zur Behandlung der Blutarmut bei FA erprobt. Allerdings gibt es hierzu noch keine abschließenden Ergebnisse. Daher werden diese Medikamente aktuell noch nicht regelhaft eingesetzt.

Chirurgische Behandlungen

Operative Maßnahmen können bei Patienten aus zwei Gründen notwendig sein.

Behandlung von Fehlbildungen:

Viele der angeborenen Fehlbildungen (wie Daumen- oder Fehlbildungen des Unterarmknochens) können durch bestimmte Operationsverfahren korrigiert werden. Auch lebensbedrohliche Fehlbildungen an den inneren Organen (beispielsweise der Harnwege, im Magen-Darm-Trakt oder am Herzen) können operativ behandelt werden.

Behandlung von Krebserkrankungen:

Der andere wichtige Bereich betrifft die Diagnostik und Therapie bösartiger Neubildungen, besonders im Kopf-Hals-Bereich. Die chirurgische Entfernung einer solchen Neubildung hat einen günstigen Einfluss auf die Langzeitprognose von FA-Patienten. Das liegt daran, dass andere Methoden der Behandlung einer Krebserkrankung (Chemotherapie oder Bestrahlung) - im Gegensatz zur Chirurgie - die DNA einer Zelle schädigen und dadurch das Risiko für eine weitere Krebserkrankung erhöhen. Dieses Risiko ist bei FA-Patienten besonders erhöht, weil bei ihnen die Mechanismen der DNA-Reparatur gestört sind (siehe "Ursachen").

Behandlung von Störungen des Hormonhaushalts

Hormonersatztherapie:

Ob bei einem Patienten mit FA eine Hormonersatzbehandlung angezeigt ist, wird von Spezialisten für Hormonstörungen bei Kindern und Jugendlichen (pädiatrische Endokrinologen) festgelegt. Je nach dem, was für eine endokrine Funktionsstörung vorliegt (siehe "Krankheitszeichen"), kann zum Beispiel die Einnahme von Schilddrüsen- (bei Schilddrüsenunterfunktion) oder Wachstumshormon-Tabletten (bei Gedeihstörungen), sowie Injektionen von Insulin (bei Zuckerkrankheit) notwendig sein. Der Erfolg einer solchen Hormonersatztherapie wird durch regelmäßige körperliche Untersuchungen sowie Kontrollen der Hormonspiegel im Blut von den Spezialisten sichergestellt.

Stammzelltransplantation

Eine hämatopoetische Stammzelltransplantation (SZT) kann bei Betroffenen in Erwägung gezogen werden, bei denen die Erkrankung sehr schwer verläuft. Dies betrifft zum Beispiel Patienten mit schwerer Blutarmut (Anämie). die auf die bisherigen Behandlungsmethoden (siehe oben) nicht mehr gut ansprechen. Gleiches gilt bei FA-Patienten, die im Verlauf Blutkrebs entwickelt haben.

Beste Voraussetzung für die Therapiemöglichkeit der SZT ist, dass der Patient einen gesunden so genannten Familienspender hat. Darunter versteht man ein Familienmitglied, bei dem die wichtigen Oberflächenmerkmale der Zellen (HLA-Merkmale) mit denen des Patienten übereinstimmen.

Steht kein passender Familienspender zur Verfügung, kann allerdings auch ein Fremdspender (nicht verwandter Spender) in Betracht gezogen werden. Hierbei gilt ebenfalls, dass die Oberflächenmerkmale der Zellen mit dem Patienten übereinstimmen müssen. Fremdspender sind Freiwillige, die in Datenbanken registriert sind. Ein spezialisiertes Zentrum kann eine Fremdspendersuche einleiten.

Bei einer SZT werden dem Patienten in Form einer Bluttransfusion Stammzellen der Blutbildung (Blutstammzellen) verabreicht. Die Stammzellen wurden zuvor aus dem Knochenmark eines gesunden Spenders entnommen, dessen Blut in den meisten Merkmalen mit dem des Patienten übereinstimmt (so genannte allogene SZT).

Vor dieser SZT wird das Knochenmark des Erkrankten, in dem die kranken roten Blutzellen gebildet werden, durch eine Chemotherapie und/oder eine Strahlentherapie zerstört. Nur so kann das gesunde Spendermark das kranke ersetzen und nach einer gewissen Zeit neue, gesunde Blutzellen bilden.

Patienten mit FA sind gegenüber einer Chemo- oder Strahlentherapie, wie sie bei der Vorbereitung zur SZT angezeigt sind, empfindlicher als andere SZT-Patienten. Diese Vorbehandlung, auch Konditionierung genannt, zeigt bei Patienten mit FA häufiger unerwünschte Wirkungen wie beispielsweise ein weiter erhöhtes Krebsrisiko. Das liegt daran, dass Chemo- und Strahlentherapie die Erbsubstanz (DNA) von Zellen schädigen. Daher wird eine Konditionierung mit Ganzkörperbestrahlung nicht empfohlen, sondern eine Chemotherapie-basierte-Konditionierung.

Bei FA-Patienten kommt hinzu, dass die Mechanismen zur DNA-Reparatur in Zellen nicht richtig funktionieren (siehe "Ursachen"). Aufgrund dieser schweren Nebenwirkungen einer SZT bei Kindern mit FA muss von den Ärzten individuell und sorgfältig abgewogen werden, ob dem betroffenen Patienten diese Behandlungsmethode wirklich zugutekommt oder langfristig eher schadet. Ausführliche Informationen zur SZT finden Sie hier.

Die Möglichkeit einer SZT sollte frühzeitig mit dem Behandlungsteam besprochen werden, damit eine Spendersuche vor dem Auftreten schwerer Komplikationen eingeleitet werden kann.

Gentherapie (kausale Therapie)

Eine erfolgversprechende Möglichkeit, die Ursache der FA zu beheben vermittelt die Gentherapie. Sie versucht, die Defekte der betroffenen FA-Gene zu korrigieren (siehe "Ursachen"). Grundsätzlich handelt es sich dabei um ein relativ neues Verfahren, das seit den 1990er Jahren angewendet wird.

Hier wird ein intaktes Gen in das Erbgut der Zielzelle eingefügt, um das defekte FA-Gen zu ersetzen. Üblicherweise werden dem Körper des Patienten dazu einige Zellen, in der Regel Blutstammzellen aus dem Knochenmark, entnommen. Den Blutstammzellen werden im Labor die entsprechenden gesunden Gene hinzugefügt. Anschließend werden die Zellen zunächst vermehrt und dann dem Patienten wieder zurückgegeben. Inwieweit diese Techniken auch der Behandlung von FA-Patienten dienen können, wird derzeit für das bei Kindern mit FA am häufigsten veränderte Gen, das FANC-A-Gen (siehe "Ursachen"), erforscht.

Theoretisch birgt die Gentherapie gegenüber einer hämatopoetischen Stammzelltransplantation (SZT) Vorteile: Beispielsweise könnte auf die aggressive Chemo- und Strahlentherapie (Konditionierung, siehe oben), die vor einer SZT notwendig sind, verzichtet werden. Das liegt daran, dass dem Patienten bei der Gentherapie die eigenen Zellen wiedergegeben werden. Somit ist es unwahrscheinlich, dass es zu körpereigenen Abwehrreaktionen, wie sonst oft bei der SZT, kommt.

Problematisch bei der Gentherapie ist jedoch, dass Stammzellen von FA-Patienten im Labor nur sehr langsam wachsen und zudem aufgrund ihrer Defekte sehr empfindlich sind. Entsprechend sind Anzüchtung, Behandlung und auch die Methoden, mit denen die Zellen dem Patienten wieder zugeführt werden, aufwendig. Die Methoden bedürfen noch weiterer Verbesserungen, bevor sie bei der Routinebehandlung von Kindern und Jugendlichen mit FA zum Einsatz kommen.