Behandlung: Wie werden Patienten mit angeborener Kugelzellenanämie behandelt?

Autor:  Prof. Dr. med. S. Eber, Redaktion:  Maria Yiallouros, Freigabe:  PD Dr. med. G. Tallen, Prof. Dr. med. Ursula Creutzig, Zuletzt geändert: 28.06.2021 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e102307

Wurde bei Ihrem Kind eine angeborene Kugelzellenanämie diagnostiziert, so sollte es in einem spezialisierten Behandlungszentrum angemeldet werden. Dort findet eine Betreuung durch ein Behandlungsteam statt, das aus Ärzten und anderen Mitarbeitern (wie Kinderkrankenschwestern und -pflegern, Sozialarbeitern, Krankengymnasten, Psychologen) besteht, die alle Erfahrung mit der Erkrankung haben. Regelmäßige Vorstellungen in einem solchen Zentrum sorgen dafür, dass der Krankheitsverlauf sorgfältig überwacht wird. Komplikationen, wie beispielsweise eine Eisenüberladung des Körpers nach wiederholten Bluttransfusionen, können frühzeitig erkannt und unmittelbar von Spezialisten behandelt werden. Eltern und Angehörige erhalten dort auch fachgerechte Antworten auf ihre Fragen, sei es zum Umgang mit dem Erkrankten, sei es dazu, wie eine Milzvergrößerung, eine Infektion oder eine behandlungsbedürftige Blutarmut rechtzeitig erkannt werden können oder seien es Fragen zu neuen Behandlungsmethoden und aktuellen Forschungsergebnissen.

Es gibt keine Behandlung, die die Ursachen der angeborenen Kugelzellenanämie also die Gendefekte, die für die krankhaft veränderten Eiweiße in der Erythrozytenwand verantwortlich sind, beheben kann (kausale Behandlung). Die derzeit verfügbaren Behandlungsmethoden dienen vor allem dazu, die gesundheitlichen Probleme zu bewältigen, die mit der Erkrankung einhergehen können (symptomatische Therapie). Zu diesen symptomatischen Behandlungen gehören vor allem

  • Bluttransfusionen (Gabe von Erythrozytenkonzentraten),
  • Entfernung der Gallenblase (Cholezystektomie),
  • Entfernung der Milz (Splenektomie).

Bluttransfusionen (Gabe von Erythrozytenkonzentraten)

Bei der Behandlung einer Blutarmut bestehen Bluttransfusionen aus der Gabe von roten Blutkörperchen (Erythrozytenkonzentrat). Der Patient erhält dabei über eine Vene (meist in der Ellenbeuge) gesunde rote Blutkörperchen von einem gesunden Spender.
Erythrozytentransfusionen sind, je nach Schweregrad der angeborenen Kugelzellenanämie, oft in den ersten beiden Lebensjahren des Patienten , im späteren Verlauf auch bei hyperhämolytischen oder aplastischen Krisen angezeigt (siehe Kapitel "Krankheitszeichen") angezeigt. In der Regel werden Bluttransfusionen erst dann verabreicht, wenn ausgeprägte Krankheitszeichen vorliegen beziehungsweise wenn der rote Blutfarbstoff (Hämoglobin) stark unter einen bestimmten Normalwert abfällt. Der jeweilige Normalwert hängt vom Alter des Kindes ab. Außerdem können die Krankheitszeichen der Blutarmut von Kind zu Kind unterschiedlich sein. Deshalb sollte immer ein Spezialist entscheiden, ob und wann eine Bluttransfusion bei einem Kind mit angeborener Kugelzellenanämie notwendig ist.

Entfernung der Gallenblase (Cholezystektomie)

Patienten mit Gallensteinen, die wiederkehrend starke Schmerzen verursachen, wird in der Regel die Entfernung der Gallenblase empfohlen. Liegt eine leichte Kugelzellenanämie vor, kann dies im Rahmen einer Bauchspiegelung (Laparoskopie) erfolgen. Bei Patienten mit schwereren Formen der Kugelzellenanämie werden Gallenblase und meist gleichzeitig auch ein Teil der Milz über eine offene Bauchoperation (Laparotomie) entfernt.

Entfernung der Milz (Splenektomie)

Die Milz ist ein Organ im linken Oberbauch und, unter anderem, Teil des körpereigenen Abwehrsystems (Immunsystem). In ihr reifen weiße Blutkörperchen zu Abwehrzellen, den sogenannten B-Lymphozyten und T-Lymphozyten, heran. Darüber hinaus werden in der Milz überalterte rote Blutzellen und Blutplättchen (Thrombozyten) sowie krankhaft veränderte Blutkörperchen wie die Kugelzellen aussortiert und abgebaut. Rund zehn Prozent aller Menschen haben zusätzliche Nebenmilzen.

Die Entfernung der Milz und gegebenenfalls der Nebenmilzen führt bei nahezu allen Patienten mit Kugelzellenanämie dazu, dass die krankhaft veränderten roten Blutkörperchen länger überleben. Dadurch kommt es zu einer Rückbildung der Blutarmut und somit zu einem verminderten Bedarf an Bluttransfusionen. Bei manchen Patienten mit sehr schwerer Kugelzellenanämie können ein leicht gesteigerter Erythrozytenabbau und dadurch eine leichte Blutarmut fortbestehen, besonders dann, wenn bei der Operation vorhandene Nebenmilzen nicht mit entfernt wurden.

Zeitpunkt der Milzentfernung

Der optimale Zeitpunkt für eine Milzentfernung bei Kindern und Jugendlichen mit angeborener Kugelzellenanämie ist bisher nicht gesichert. Bei Patienten mit der leichten Form der Kugelzellenanämie ist der Eingriff in der Regel nicht erforderlich. Bei mittelschweren Verläufen wird eine Entfernung der Milz vor Erreichen der Pubertät, meist zwischen dem 7. und 10. Lebensjahr des Patienten, empfohlen. Bei Kindern mit der schweren und sehr schweren Krankheitsform sollte die Milz vor dem Schulalter entfernt werden.

Operationsverfahren und Ausmaß der Operation

Aufgrund der schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme, die bei Kindern und Jugendlichen mit angeborener Kugelzellenanämie nach einer kompletten Milzentfernung entstehen können (siehe Abschnitt "Folgen der Milzentfernung"), wird heutzutage nur noch selten das gesamte Organ entfernt. Stattdessen wird bei den meisten Operationen angestrebt, einen möglichst kleinen Milzrest und damit eine verbleibende Organfunktion zu erhalten. In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass diese so genannte "nahezu vollständige Splenektomie" ebenso zu einer langfristigen Beendigung der Blutarmut führt wie eine vollständige Milzentfernung und außerdem das Auftreten von Komplikationen verringert.

Prinzipiell stehen als Operationsverfahren die Bauchspiegelung (Laparoskopie) und die offene Bauchoperation (Laparotomie) zur Verfügung. Die na­he­zu voll­stän­di­ge Ent­fer­nung der Milz, die darauf abzielt, eine Restmilz zu erhalten, sollte allerdings über ei­ne of­fe­ne Bauchope­ra­ti­on erfolgen. Das liegt darin begründet, dass die Blutgefäßversorgung der Milz bei den einzelnen Patienten sehr unterschiedlich ist. Eine Bauchspiegelung wird bei der na­he­zu voll­stän­di­gen Milzent­fer­nung eher nicht empfohlen, da hier noch zu wenig Erfahrung besteht (s. auch Leitlinie Hereditäre Sphärozytose) Die vollständige Entfernung der Milz hingegen kann auch laparoskopisch erfolgen. Das Ope­ra­ti­ons­ver­fah­ren, das für Ihr Kind in Frage kommt, wird vor der Ope­ra­ti­on aus­führ­lich mit Ih­nen be­spro­chen. Ebenso informiert Sie das Behandlungsteam über Risiken und möglichen Folgen der Milzentfernung (siehe "Folgen der Milzentfernung").

Die nahezu vollständige Splenektomie empfiehlt sich an Stelle einer vollständigen Splenektomie insbesondere bei Patienten

  • mit der schweren oder sehr schweren Form der Kugelzellenanämie, bei denen die Milz wegen häufiger Bluttransfusionen und starker Eisenüberladung vor dem 6. Lebensjahr entfernt werden muss;
  • die zusätzlich zur Kugelzellenanämie an einer Abwehrschwäche leiden;
  • die einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind (zum Beispiel aufgrund von Auslandsaufenthalten in bestimmten tropischen Ländern);
  • für die es aus persönlichen Gründen nicht in Frage kommt, nach der Milzentfernung regelmäßig ein Antibiotikum zum Schutz vor bakteriellen Infektionen einzunehmen;
  • mit erheblicher Milzvergrößerung, die intensiv Sport betreiben (insbesondere Kampf-, Ballsportarten oder Radrennsport) und daher ein erhöhtes Risiko für Bauch- beziehungsweise Milzverletzungen aufweisen.

Folgen der Milzentfernung

Die Entfernung der Milz kann schwerwiegende Folgen für den Organismus von Kindern und Jugendlichen haben. Deshalb wird die Entscheidung zur Milzentfernung heutzutage bei allen Patienten grundsätzlich sehr zurückhaltend gefällt. Zu den kurz- und langfristigen Folgen einer Milzentfernung bei Patienten mit Kugelzellenanämie gehören beispielsweise:

  • ein lebenslang erhöhtes Risiko, an schwerwiegenden und manchmal sogar tödlich verlaufenden Bakterien-Infektionen, insbesondere des Blutes (Blutvergiftung/Sepsis) und der Hirnhäute (Meningitis), zu erkranken ("overwhelming postsplenectomy infection/OPSI"-Syndrom); dies gilt insbesondere für Kinder, bei denen die Milz zwischen dem 1. und dem 5. Lebensjahr entfernt wurde;
  • erhöhte Neigung zur Entwicklung von Blutgerinnseln, insbesondere in der Lebervene (Portalvenenthrombose);
  • erhöhtes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle nach dem 40. Lebensjahr.

Vorbeugung von Folgen der Milzentfernung

Die Vorbeugung von gesundheitlichen Problemen bei Patienten nach einer Milzentfernung umfasst vor allem folgende Maßnahmen:

  • Penicillinprophylaxe: Penicillin ist ein Antibiotikum, das von Kindern mit angeborener Kugelzellenanämie nach einer Milzentfernung regelmäßig beziehungsweise so, wie vom Arzt verordnet, eingenommen werden sollte. Diese Penicillin-Einnahme hilft, den schweren bakteriellen Infektionen durch kapseltragende Bakterien (Pneumokokken, Meningokokken, Haemophilus) vorzubeugen, für die Patienten nach einer Milzentfernung besonders anfällig sind. Liegt eine Penicillin-Allergie vor, so können andere Substanzen mit vergleichbarem Wirkungsmechanismus zum Einsatz kommen.
  • Impfungen: Patienten mit angeborener Kugelzellenanämie sollten, ebenso wie gesunde Kinder, nach dem aktuellen Impfkalenders geimpft werden. Vor und nach einer Milzentfernung müssen sie allerdings besonders gegenüber Bakterien wie Pneumokokken (Lungenentzündung), Meningokokken (Hirnhautentzündung), Haemophilus (Krupp, Lungenentzündung, Hirnhautentzündung, Gelenkentzündungen) geschützt sein. Daher sind bestimmte Auffrisch-Impfungen notwendig, deren Zeitpunkte Sie vom Behandlungsteam Ihres Kindes erfahren.
  • Routine-Vorsorgeuntersuchungen (U-Untersuchungen) beim Kinderarzt: Bei den zehn U-Untersuchungen und später bei der J1 überprüft der Kinderarzt die altersgerechte körperliche, geistige und auch emotionale Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen. Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen finden auch die Impfungen statt. Die Ergebnisse der Vorsorgeuntersuchungen werden in das "Gelbe Heft" eingetragen, das den Eltern nach der Geburt ausgehändigt wurde [siehe Gelbes Heft]. In diesem Heft ist eine Tasche, in die Sie den Impfpass des Kindes aufbewahren können. Das "Gelbe Heft" mit dem Impfpass sollten Sie zu jedem Arztbesuch mitnehmen.