Welche Spätfolgen können nach einer schweren chronischen Neutropenie auftreten?
Autor: Dr. med. Cornelia Zeidler, Zuletzt geändert: 15.05.2024 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e208309
Heute werden Kinder und Jugendliche mit schwerer chronischer Neutropenie (siehe Welche unterschiedlichen Formen der Neutropenie gibt es?) unmittelbar nach der Diagnosestellung mit Granulozyten-Kolonien stimulierendem Faktor (G-CSF) behandelt (siehe Wie werden Kinder und Jugendliche mit Neutropenie behandelt?). Durch diese Behandlung kann die Anzahl der weißen Blutkörperchen bei mehr als 90% der Patienten erfolgreich erhöht werden, so dass sie ausreichend vor schweren bakteriellen Infektionen geschützt sind und ihre Lebenserwartung vermutlich normal ist.
Endgültige Aussagen zur Langzeit-Prognose von Patienten mit schwerer chronischer Neutropenie sind derzeit noch nicht möglich, da die G-CSF-Therapie erst seit Ende der 1980er Jahre durchgeführt wird. Bereits vor der Verfügbarkeit von G-CSF gab es vereinzelt Berichte über das Auftreten von Leukämien bei Patienten mit manchen angeborenen Neutropenieformen. Aufgrund der damals kurzen Lebensdauer der meisten Patienten konnte das tatsächliche Leukämierisiko jedoch nicht eindeutig bestimmt werden.
Nach dem heutigen Kenntnisstand haben innerhalb der einzelnen genetischen Untergruppen der angeborenen Neutropenie insgesamt mehr als 10% der registrierten Patienten im Verlauf eine Leukämie entwickelt. Diese Zahlen können einerseits dadurch zustande kommen, dass die Lebenserwartung der Kinder und Jugendlichen heute bedeutend höher ist und daher eine spätere Leukämieentstehung bei diesen Patienten überhaupt erst festgestellt und dokumentiert werden konnte.
Andererseits besteht theoretisch die Möglichkeit, dass die Behandlung mit einem Wachstumsfaktor wie G-CSF, der direkt auf den Zellzyklus und die Reifung von weißen Blutkörperchen einwirkt, deren Wachstumverhalten manchmal auch negativ beeinflussen kann, so dass es zu bösartigem Wachstum, also zur Entstehung einer Leukämie kommt. Heute weiß man jedoch, dass das Leukämierisiko hauptsächlich durch die Art der krankhaften Genveränderung, die zur Neutropenie geführt hat, oder auch durch den Schweregrad der Erkrankung bestimmt wird.
Anmerkung: Bei den genannten Heilungs- und Risikoraten handelt es sich um statistische Größen. Sie stellen nur für die Gesamtheit der an einer schweren Neutropenie erkrankten Patienten eine wichtige und zutreffende Aussage dar. Ob der einzelne Patient auf die Behandlung anspricht oder nicht bzw. ob er eine Leukämie entwickelt oder nicht, lässt sich aus der Statistik nicht vorhersagen. Eine schwere chronische Neutropenie kann selbst unter günstigsten beziehungsweise ungünstigsten Voraussetzungen ganz unerwartet verlaufen. Für eine ausführliche Beratung und für weitere Informationen zur Prognose und anderen Statistiken können Sie die Zentrale des Registers für Neutropenie (SCNIR) an der Medizinischen Hochschule in Hannover direkt kontaktieren.