Diagnose: Wie wird eine Neutropenie festgestellt?
Autor: Dr. med. Cornelia Zeidler, Zuletzt geändert: 13.05.2024 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e208271
Inhaltsverzeichnis
- Bestimmung der Anzahl von weißen Blutzellen im Blut (Differentialblutbild)
- Nachweis oder Ausschluss einer Autoimmunneutropenie (Antikörpertestung)
- Bestimmung der Eigenschaften von weißen Blutzellen im Knochenmark
- Untersuchung des Gens für den "Granulozyten-stimulierender Faktor-Rezeptor" (molekulargenetische Untersuchungen)
- Weitere molekulargenetische Untersuchungen/vorgeburtliche Diagnostik
- Untersuchungen zum Nachweis oder Ausschluss von angeborenen Erkrankungen, die mit einer schweren Neutropenie einhergehen können
Kinder und Jugendliche, die häufig an bestimmten Infektionen leiden (siehe Welche Beschwerden haben Kinder und Jugendliche mit Neutropenie?), sollten unbedingt mit ihren Eltern einen Kinderarzt aufsuchen. Hat dieser aufgrund von Krankheitsgeschichte (Anamnese) und körperlicher Untersuchung des Patienten den Verdacht auf eine schwere chronische Neutropenie oder auf eine der Erkrankungen, die mit einer solchen einhergehen können (siehe Welche unterschiedlichenFormen der Neutropenie gibt es?), wird er Ihrem Kind zunächst Blut für ein so genanntes "großes Blutbild" oder auch "Differentialblutbild" abnehmen. Eventuell notwendige weitere Untersuchungen sollten in einem Behandlungszentrum durchgeführt werden, deren Mitarbeiter auf Bluterkrankungen bei Kindern und Jugendlichen spezialisiert sind (Klinik für Pädiatrische Hämatologie). Die wichtigsten Untersuchungen und typischen Befunde bei der Diagnosestellung und im Verlauf einer schweren chronischen Neutropenie werden im Folgenden beschrieben.
Anmerkung: Nicht alle Untersuchungen sind bei jedem Patienten notwendig. Ihr Behandlungsteam wird Sie darüber informieren, welche diagnostischen Verfahren bei Ihrem Kind jeweils weiterführend sind.
Bestimmung der Anzahl von weißen Blutzellen im Blut (Differentialblutbild)
Bei der Erstellung eines Differentialblutbildes wird die Zahl aller Blutzellen und damit auch der neutrophilen Granulozyten (Neutrophilen) sowie deren Vorstufen im Blut bestimmt. Ist die Neutrophilenzahl vermindert, wird die Untersuchung nach einiger Zeit wiederholt, um zu überprüfen, ob die Neutropenie fortbesteht. Bei Patienten mit schwerer chronischer Neutropenie können die Neutrophilenzahlen zwar auf niedrigem Niveau schwanken, sie bleiben jedoch außer bei der zyklischen Neutropenie die ganze Zeit über niedrig.
Nachweis oder Ausschluss einer zyklischen Neutropenie
Wechseln sich normale Werte regelmäßig mit stark verminderten neutrophilen Granulozytenzahlen ab, kommt der Verdacht auf eine zyklische Neutropenie (siehe Welche unterschiedlichen Formen der Neutropenie gibt es?) auf. Zur Diagnosestellung werden dann Differentialblutbilder 3x pro Woche (Montag-Mittwoch-Freitag) über 4-6 Wochen erstellt. Nur so kann festgestellt werden, ob die Werte tatsächlich einem regelmäßigen Zyklus folgen.
Nachweis oder Ausschluss einer Autoimmunneutropenie (Antikörpertestung)
Autoimmunneutropenien sind die häufigste Ursache für eine schwere chronische Neutropenie bei Kindern und Jugendlichen (siehe Welche unterschiedlichen Formen der Neutropenie gibt es?). Deshalb wird bei einem Patienten, dessen Krankheitszeichen und Differentialblutbild den Befund einer Neutropenie (jedoch nicht einer zyklischen Neutropenie) ergeben haben, zunächst geschaut, ob der Neutropenie eine Störung des Immunsystems zugrunde liegt. Bei Patienten mit Autoimmunneutropenie können nämlich bestimmte Eiweiße (Antikörper) gegen weiße Blutzellen nachgewiesen werden. Die Bestimmung dieser so genannten Granulozyten-spezifischen Antikörper in einer Blutprobe wird in der Regel in Speziallaboratorien vorgenommen. Wenn bei Ihrem Kind solche Antikörper nachgewiesen wurden, sollte es in medizinischer Betreuung bleiben, um festzustellen, ob bereits zum aktuellen Zeitpunkt oder im Verlauf eine Behandlung erforderlich ist.
Bestimmung der Eigenschaften von weißen Blutzellen im Knochenmark
Nachdem eine Neutropenie durch Blutuntersuchungen bestätigt wurde, jedoch die Antikörpertestung keinen Hinweis auf eine Autoimmunneutropenie geliefert hat, muss weiter nach der Ursache für die Neutropenie gesucht werden. Dazu wird das Organ untersucht, in dem die weißen Blutkörperchen gebildet werden: das Knochenmark. Bei einer Knochenmarkuntersuchung werden insbesondere Eigenschaften wie das Aussehen und das Erbmaterial (Chromosomen, Gene) von Blutzellen und deren Vorstufen unter dem Mikroskop beziehungsweise mittels so genannter molekulargenetischer Techniken untersucht.
Zu den Untersuchungen, die nach der Entnahme an den Knochenmarkzellen durchgeführt werden, gehören insbesondere:
Knochenmarkausstrich
Die Knochenmarkzellen werden auf eine kleine Glasplatte aufgetragen, vorsichtig darauf verteilt und dann angefärbt. So können sie unter dem Mikroskop betrachtet, gezählt und beurteilt werden.
Chromosomenanalyse (Zytogenetik)
Manche Formen der schweren chronischen Neutropenie können mit Veränderungen des Erbmaterials von weißen Blutzellen einhergehen (siehe Wie entsteht eine Neutropenie?). Solche Veränderungen entstehen zum Beispiel durch Verluste von Chromosomen oder von Chromosomenabschnitten (Deletionen). Diese Verluste können mittels bestimmter Labortechniken sichtbar gemacht werden. Bei manchen Kindern können solche Chromosomenveränderungen zur Entartung der Knochenmarkzellen und daraufhin zu Blutkrebs (Leukämie) führen (siehe Welche Langzeitfolgen können nach einer Neutropenie auftreten?). Bei der Mehrzahl der Patienten fällt die Chromosomenuntersuchung jedoch zunächst normal aus. Die zytogenetischen Untersuchungen sollten regelmäßig (etwa einmal im Jahr) durchgeführt werden, um mögliche Veränderungen frühzeitig zu erkennen.
Untersuchung des Gens für den "Granulozyten-stimulierender Faktor-Rezeptor" (molekulargenetische Untersuchungen)
Der Granulozyten-Kolonien stimulierende Faktor (G-CSF) gehört zu einer Gruppe von Eiweißen (Zytokine), die unser Körper selbst produziert. G-CSF stimuliert die Bildung von neutrophilen Granulozyten im Knochenmark. Er erhöht auch die Aktivität reifer Neutrophiler, wodurch deren Fähigkeit, Bakterien abzutöten, verbessert wird. Das Zytokin wirkt durch die Bindung an einen so genannten Rezeptor, der sich auf der Granulozyten-Oberfläche befindet. Die Aufgabe dieses Rezeptors ist es, G-CSF aus dem Blut an die weißen Blutzellen zu binden. Durch diese Bindung werden die Startsignale zum Ausreifen, zur Zellteilung oder Verstärkung verschiedener Zellfunktionen an die Kommandozentrale der Zelle, den Zellkern, weitergeleitet. Die Untersuchung der Erbinformationen für diesen G-CSF Rezeptor liefert Informationen über seine Struktur. Der Rezeptor ist auf allen weißen Blutzellen vorhanden. Bei einigen Patienten mit angeborener schwerer Neutropenie ist das G-CSF Rezeptor-Gen jedoch krankhaft verändert. Solch eine Veränderung kann einer späteren Entartung der weißen Blutzelle und dadurch mit der Entstehung einer Leukämie einhergehen. Deshalb ist diese Untersuchung eine wichtige Methode zur Früherkennung bösartiger Veränderungen von Granulozyten.
Weitere molekulargenetische Untersuchungen/vorgeburtliche Diagnostik
Die für bestimmte angeborene Formen der Neutropenie bereits bekannten Genveränderungen können bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen mittels molekulargenetischer Verfahren nachgewiesen werden. Auch eine Diagnose dieser Erkrankungen vor der Geburt ist möglich, wenn in der Familien solche Erkrankungen schon vorgekommen sind. Es wird solchen Familien daher empfohlen, bei Kinderwunsch eine genetische Beratung wahrzunehmen. Dort kann man die Risiken bestimmen, die sich für das Kind ergeben könnten und auch die Möglichkeiten besprechen, die zur Geburt eines gesunden Kindes führen.
Untersuchungen zum Nachweis oder Ausschluss von angeborenen Erkrankungen, die mit einer schweren Neutropenie einhergehen können
Um festzustellen, ob bei einem Patienten mit einer schweren chronischen Neutropenie neben der Blutbildung im Knochenmark auch die Funktion weiterer Organsysteme gestört ist (wie beim Shwachman-Diamond-Syndrom oder bei der Glykogenose Typ 1b), müssen bei manchen Patienten zusätzlich zu den bisher beschriebenen Blut- und Knochenmarkuntersuchungen noch weitere Tests durchgeführt werden, über die Sie das Behandlungsteam Ihres Kindes sorgfältig aufklären wird.