Behandlung: Wie werden Patienten mit angeborener Kugelzellenanämie behandelt?
Autor: Prof. Dr. med. Stefan Eber, Zuletzt geändert: 27.08.2025 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e285921
Inhaltsverzeichnis
Wurde bei Ihrem Kind eine angeborene Kugelzellenanämie diagnostiziert, so sollte es einem spezialisierten Behandlungszentrum oder einem mit der Erkrankung erfahrenem niedergelassenen Kinderhämatologen vorgestellt werden. Regelmäßige Vorstellungen in einem Zentrum oder beim niedergelassenen Kinderhämatologen sorgen dafür, dass der Krankheitsverlauf sorgfältig überwacht und Komplikationen, wie beispielsweise eine Eisenüberladung des Körpers nach wiederholten Bluttransfusionen, frühzeitig erkannt und unmittelbar von Spezialisten behandelt werden. Außerdem können Fragen zum Umgang mit dem erkrankten Kind wie zum rechtzeitigen Erkennen einer Milzvergrößerung, einer Infektion, einer behandlungsbedürftigen Blutarmut sowie Fragen zu neuen Behandlungsmethoden und aktuellen Forschungsergebnissen fachgerecht beantwortet werden.
Eine sogenannte kausale Behandlung, durch die die Ursachen der angeborenen Kugelzellenanämie beseitigt werden könnten, also die Gendefekte, die für die krankhaft veränderten Eiweiße in der Erythrozytenwand verantwortlich sind, gibt es nicht. Die aktuellen Behandlungen dienen vor allem dazu, die gesundheitlichen Probleme, die mit der Erkrankung einhergehen können, zu bewältigen (symptomatische Therapie).
Zu diesen symptomatischen Behandlungen gehören vor allem:
- Bluttransfusionen (Gabe von Erythrozytenkonzentraten)
- Gabe von Glukokortikoiden bei hyperhämolytischer Krise
- Entfernung der Gallenblase (Cholezystektomie),
- Entfernung der Milz (Splenektomie).
- Vermeidung einer aplastischen Krise bei Kontakt mit Ringelröteln
Bluttransfusionen (Gabe von Erythrozytenkonzentraten)
Bei den Bluttransfusionen im Rahmen der Behandlung einer Blutarmut handelt es sich um die Gabe von roten Blutkörperchen (Erythrozytenkonzentrat). Erythrozytentransfusionen sind oft in den ersten beiden Lebensjahren je nach Schweregrad der angeborenen Kugelzellenanämie, im späteren Verlauf auch bei hyperhämolytischen oder aplastischen Krisen (siehe "Krankheitszeichen") angezeigt. In der Regel werden Bluttransfusionen erst bei ausgeprägten Krankheitszeichen beziehungsweise bei starkem Abfall des roten Blutfarbstoffs unter einen Normalwert verabreicht. Dieser Normalwert hängt vom Alter des Kindes ab. Außerdem können die Krankheitszeichen der Blutarmut von Kind zu Kind unterschiedlich sein. Deshalb sollte immer ein Spezialist entscheiden, ob und wann eine Bluttransfusion bei einem Kind mit angeborener Kugelzellenanämie notwendig ist.
Entfernung der Gallenblase (Cholezystektomie)
Patienten mit Gallensteinen, die wiederkehrend starke Schmerzen verursachen, wird in der Regel die Entfernung der Gallenblase empfohlen. Liegt eine leichte Kugelzellenanämie vor, kann dies im Rahmen einer Bauchspiegelung (Laparoskopie) erfolgen. Bei Patienten mit schwereren Formen der Kugelzellenanämie wird meist gleichzeitig und über eine offene Bauchoperation (Laparotomie) auch ein Teil der Milz entfernt. Die hochdosierte Prednisolon-Gabe (2 - 4 mg/KG über 2 - 4 Tage) kann die Hämolyse bei hereditärer Sphärozytose vermindern. Es kann daher im Einzelfall im Rahmen einer fieberhaften Infektion sinnvoll sein, dies zu geben. Sicherlich ist sorgfältig auf den Fieberverlauf und klinischen Zustand zu achten und großzügig- aufgrund der vorübergehend auftretenden Immunsuppression – ein Antibiotikum zu geben. Diese Behandlung sollte daher unbedingt in enger Absprache mit einem mit dieser Behandlung versiertem pädiatrischen Hämatologen erfolgen.
Entfernung der Milz (Splenektomie)
Die Milz ist ein Organ im linken Oberbauch. Rund zehn Prozent aller Menschen haben zusätzliche Nebenmilzen. Die Milz erfüllt zahlreiche Aufgaben des körpereigenen Abwehrsystems (Immunsystem). In ihr reifen weiße Blutkörperchen zu Abwehrzellen, den sogenannten B- und T-Lymphozyten, heran. Darüber hinaus werden in der Milz überalterte Blutzellen, zum Beispiel die roten Blutkörperchen, Blutplättchen (Thrombozyten) und auch krankhaft veränderte Blutkörperchen wie die Kugelzellen aussortiert und abgebaut.
Die Entfernung der Milz führt bei nahezu allen Patienten mit Kugelzellenanämie zu einer längeren Überlebenszeit der krankhaft veränderten roten Blutkörperchen und dadurch zur Rückbildung der Blutarmut und damit zu keinen weiteren Bluttransfusionen. Bei manchen Patienten mit sehr schwerer Kugelzellenanämie kann ein leicht gesteigerter Erythrozytenabbau und dadurch eine leichte Blutarmut fortbestehen, besonders dann, wenn bei der Operation Nebenmilzen nicht mitentfernt wurden.
Zeitpunkt der Milzentfernung
Der optimale Zeitpunkt für eine Splenektomie bei Kindern oder Jugendlichen mit angeborener Kugelzellenanämie ist bisher nicht gesichert. Bei Patienten mit der leichten Form der Kugelzellanämie ist sie in der Regel gar nicht erforderlich. Bei mittelschweren Verläufen wird eine Splenektomie vor Erreichen der Pubertät, meist zwischen dem 7. und 10. Lebensjahr des Patienten, empfohlen. Bei Kindern mit der schweren und sehr schweren Form sollte die Milz vor dem Schulalter entfernt werden.
Verfahren der Milzentfernung: Vollständige oder nahezu vollständige Splenektomie
Aufgrund der schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme, die bei Kindern und Jugendlichen mit angeborener Kugelzellenanämie nach kompletter Milzentfernung entstehen können (siehe "Folgen der Milzentfernung"), wird heutzutage nur noch selten das gesamte Organ entfernt. Stattdessen wird bei den meisten Operationen angestrebt, einen möglichst kleinen Milzrest und damit eine verbleibende Organfunktion zu erhalten. In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass diese sogenannte "nahezu vollständige Splenektomie" ebenso zu einer langfristigen Beendigung der Blutarmut und einem verminderten Auftreten von Komplikationen führt, wie eine vollständige Milzentfernung.
Genauso wie die vollständige kann auch die nahezu vollständige Entfernung der Milz sowohl über eine Bauchspiegelung (Laparoskopie) als auch über eine offene Bauchoperation (Laparotomie) erfolgen. Welches Operationsverfahren für Ihr Kind das Beste ist und warum, wird in der Regel vom Behandlungsteam Ihres Kindes entschieden und vor der Operation ausführlich mit Ihnen besprochen.
Bei der Entscheidung zwischen vollständiger und nahezu vollständiger Splenektomie werden zahlreiche individuelle Faktoren wie der Schweregrad der Kugelzellenanämie, das Alter des Patienten sowie dessen Risiken, an schweren Folgen der Milzentfernung (siehe "Folgen der Milzentfernung") zu erkranken, sorgfältig berücksichtigt.
Statt einer vollständigen Splenektomie empfiehlt sich die nahezu vollständige Splenektomie insbesondere bei Patienten
- mit der schweren oder sehr schweren Form der Kugelzellenanämie, bei denen die Milz wegen häufiger Bluttransfusionen und starker Eisenüberladung vor dem 6. Lebensjahr entfernt werden muss;
- die zusätzlich zur Kugelzellenanämie an einer Abwehrschwäche leiden;
- die einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind (z. B. aufgrund von Auslandsaufenthalten in bestimmten tropischen Ländern);
- für die es aus persönlichen Gründen nicht in Frage kommt, nach der Milzentfernung regelmäßig ein Antibiotikum zum Schutz vor bakteriellen Infektionen einzunehmen;
- mit erheblicher Milzvergrößerung, die intensiv Sport betreiben (insbesondere Radrennsport) und daher ein erhöhtes Risiko für Bauch- beziehungsweise Milzverletzungen aufweisen oder die deutlich geringer körperlich belastbar sind.
Folgen der Milzentfernung
Die Entfernung der Milz kann schwerwiegende Folgen für den Organismus von Kindern und Jugendlichen haben. Deshalb wird die Entscheidung zur Milzentfernung heutzutage bei allen Patienten grundsätzlich sehr zurückhaltend gefällt. Zu den kurz- und langfristigen Folgen einer Milzentfernung bei Patienten mit Kugelzellenanämie gehören beispielsweise:
- ein lebenslang erhöhtes Risiko, an schwerwiegenden und manchmal sogar tödlich verlaufenden bakteriellen Infektionen, insbesondere des Blutes (Blutvergiftung/Sepsis) und der Hirnhäute (Meningitis), zu erkranken (overwhelming postsplenectomy infection/OPSI-Syndrom), insbesondere bei Kindern, bei denen die Milz zwischen dem 1. und dem 5. Lebensjahr entfernt wurde (eine derart frühe Milzentfernung wird in Deutschland nicht empfohlen)
- erhöhte Neigung zur Entwicklung von Blutgerinnseln, insbesondere in der Lebervene (Portalvenen-Thrombose);
- erhöhtes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle nach dem 40. Lebensjahr.
Vorbeugung von Folgen der Milzentfernung
Die Vorbeugung von gesundheitlichen Problemen von Patienten nach einer Milzentfernung umfasst vor allem folgende Maßnahmen:
- Penicillinprophylaxe: Penicillin ist ein Antibiotikum, dass von Kindern mit angeborener Kugelzellenanämie nach einer Splenektomie regelmäßig beziehungsweise so, wie vom Arzt verordnet, eingenommen werden sollte. Diese Penicillin-Einnahmen helfen, den schweren bakteriellen Infektionen durch kapseltragende Bakterien (Pneumokokken, Meningokokken, Haemophilus) vorzubeugen, für die Patienten nach einer Splenektomie besonders anfällig sind. Liegt eine Penicillin-Allergie vor, so können andere Substanzen mit vergleichbarem Wirkungsmechanismus zum Einsatz kommen.
- Impfungen: Patienten mit angeborener Kugelzellenanämie sollten, ebenso wie gesunde Kinder, gemäß dem aktuellen Impfkalender geimpft werden. Vor und nach einer Milzentfernung müssen sie allerdings besonders gegenüber Bakterien wie Pneumokokken (Lungenentzündung), Meningokokken (Hirnhautentzündung), Haemophilus (Krupp, Lungenentzündung, Hirnhautentzündung, Gelenkentzündungen) geschützt sein. Daher sind bestimmte Auffrischimpfungen notwendig, deren Zeitpunkte Sie vom Behandlungsteam Ihres Kindes erfahren. Eine Auffrischimpfung mit neuen Pneumokokken- Konjugatimpfstoffen mit einer breiteren Abdeckung von gefährlichen Penumokokken-Stämmen wird gegebenenfalls empfohlen. Die jährliche „Grippe“-Impfung (Influenza) sollte nicht vergessen werden.
Weitere Behandlungsmöglichkeiten
Mitapivat: In den letzten Jahren konnte in mehreren Studien gezeigt werden, dass ein allosterischer Aktivator der Pyruvatkinase die Anämie bei Sphärozytose verbessert [GRA2023]. Grundlage für diese neue bisher nur in Studien erfolgte Behandlung ist, dass die meisten Patienten mit Sphärozytose auch eine verminderte Aktivität des Enzyms (aktives Stoffwechseleiweiß) Pyruvatkinase in den Erythrozyten haben [AND2019a] [EBE2023]. Dieses Enzym Pyruvatkinase leistet den wichtigsten energieversorgenden Schritt in den roten Blutzellen. Allerdings ist das Medikament in Deutschland bisher nicht zur Behandlung der Sphärozytose zugelassen.
Gentherapie und Stammzelltransplantation spielen in der Behandlung der Kugelzellenanämie bisher keine Rolle.


