Ursachen: Wie entsteht eine autoimmunhämolytische Anämie (AIHA)?

Autor:  PD Dr. med. Joachim Kunz, Zuletzt geändert: 08.03.2023 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e106716

Die autoimmunhämolytische Anämie (AIHA) ist eine erworbene, nicht ansteckende Erkrankung. Sie entsteht durch Störungen des körpereigenen Abwehrsystems (Immunsystem). Bei Patienten mit AIHA produziert das Immunsystem Abwehrstoffe (Antikörper) gegen Oberflächenbestandteile der eigenen roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Diese Abwehrstoffe werden auch erythrozytäre Autoantikörper genannt. Dabei handelt es sich um Eiweißverbindungen, die sich an die roten Blutkörperchen binden. Daraufhin verändert sich deren Wandbeschaffenheit. Diese Veränderung hat wiederum zur Folge, dass das Abwehrsystem die gesunden Erythrozyten fälschlicherweise als schädliche Fremdlinge erkennt und sie deshalb vernichtet. So kommt eine Reihe von weiteren Abwehrmechanismen in Gang, die zum vorzeitigen und vermehrten Abbau von Erythrozyten (Hämolyse) führt.

Die Hämolyse kann sowohl in der Blutbahn (so genannte intravasale Hämolyse) als auch in der Milz oder in der Leber (so genannte extravasale Hämolyse) stattfinden. Das Knochenmark reagiert darauf mit einer vermehrten Neubildung von roten Blutkörperchen. Wenn diese allerdings nicht so schnell nachproduziert werden können wie sie abgebaut werden, entwickelt der Patient eine Blutarmut (Anämie).

Auslöser für die Bildung von Abwehrstoffen gegen die eigenen roten Blutkörperchen

Bei etwa der Hälfte der Kinder und Jugendlichen mit AIHA kann kein Auslöser für die Bildung von Autoantikörpern gegen die roten Blutkörperchen ermittelt werden. Die Erkrankung wird dann auch idiopathische oder primäre AIHA genannt. Bei der anderen Hälfte der Patienten kommt die AIHA als Begleiterkrankung von anderen Grundkrankheiten vor. Sie wird dann als sekundäre AIHA bezeichnet. Zu den Erkrankungen, die mit einer AIHA einhergehen können, gehören beispielsweise:

  • Infektionen: Die häufigsten bekannten Auslöser für eine AIHA im Kindes- und Jugendalter sind Infektionserreger. Zu diesen gehören beispielsweise bestimmte Erreger einer Lungenentzündung (so genannte Mykoplasmen), das Epstein-Barr-Virus, das Masernvirus, das Windpocken-Virus (Varizella-Zoster-Virus) und auch Coronaviren (SARS-CoV2, COVID19). Sehr selten kann es auch nach einer Impfung zu einer AIHA kommen. Der genaue Zusammenhang zwischen Infektionen mit diesen Erregern und der Bildung von Antikörpern gegen die eigenen roten Blutkörperchen ist noch nicht vollständig geklärt. Man geht derzeit davon aus, dass die Krankheitserreger ähnliche Oberflächenmerkmale besitzen wie die roten Blutkörperchen. Deshalb kommt es möglicherweise bei manchen Kindern während der normalen Infektabwehr auch zur Antikörperbildung gegen die eigenen roten Blutkörperchen. Darüber hinaus vermutet man, dass manche Krankheitserreger auch direkt Veränderungen auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen herbeiführen können, so dass diese von den Abwehrzellen fälschlicherweise als „fremd“ erkannt und entsprechend beseitigt werden. Es lässt sich bisher nicht vorhersagen, bei welchem Patienten mit einer Infektion eine AIHA entsteht und bei wem nicht.
  • Erkrankungen des körpereigenen Abwehrsystems: Kinder und Jugendliche, die bereits an einer anderen Erkrankung des Immunsystems leiden, bei der ebenso wie bei der AIHA Abwehrreaktionen gegen körpereigenes Gewebe stattfindet (z. B. Lupus erythematodes), können zusätzlich an einer AIHA erkranken. Ebenso kommt die AIHA bei Kindern und Jugendlichen mit einer erworbenen Abwehrschwäche wie AIDS oder mit angeborenen Immunmangelkrankheiten wie der Ataxia teleangiectatica vor.
  • Bösartige Erkrankungen: Sehr selten wird eine AIHA bei Kindern und Jugendlichen durch bösartige Erkrankungen wie Lymphome, das bedeutet Neubildungen des Lymphsystems (lymphatisches System) ausgelöst.
  • Medikamente: Eine durch Medikamente ausgelöste AIHA ist bei Kindern und Jugendlichen selten. Zu den Substanzen, die im Zusammenhang mit dem Auftreten einer AIHA beobachtet werden, gehören insbesondere im Kindesalter häufig eingesetzte Arzneimittel wie Antibiotika und fiebersenkende Schmerzmittel.
  • Bluttransfusionen: Eine AIHA kann bei manchen Kindern und Jugendlichen nach einer Bluttransfusion auftreten. Man geht davon aus, dass die fremden roten Blutkörperchen aus der Transfusion Abwehrreaktionen (Antikörperbildung) gegen die eigenen Erythrozyten auslösen.

Bei Kleinkindern sind die Krankheiten, die mit einer AIHA einhergehen können, meist harmlose Virusinfektionen. Bei Jugendlichen kommen andere Auslöser wie bereits vorbestehende Störungen des Abwehrsystems häufiger vor.