Behandlung: Wie werden Patienten mit Thrombozytenfunktionsstörungen behandelt?

Autor:  Prof. Dr. med. R. Knöfler, Zuletzt geändert: 01.03.2021 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e224707

Der folgende Text bietet einen überblick über die verschiedenen Möglichkeiten der Behandlung von Plättchen (Thrombozyten)-Funktionsstörungen. Auch dafür exisitiert eine Leitlinie, die im Jahr 2019 aktualisiert wurde. Welche Therapie beim individuellen Patienten angezeigt ist, hängt von der vorliegenden Störung und auch vom Alter des Kindes ab. Manche Patienten haben eine nur leicht gesteigerte Blutungsneigung im Alltag und benötigen weder vorbeugende Maßnahmen noch eine regelmäßige Therapie. Bei anderen müssen manchmal lokale Maßnahmen (beispielsweise Nasentamponade bei heftigem Nasenbluten) getroffen werden. Wieder andere benötigen bei Blutungen Medikamente, entweder in Tablettenform oder über die Blutgefäße. Die Transfusion von Thrombozyten kann so oft vermieden werden, denn diese ist mit dem Risiko der Bildung von gegen Plättchen gerichteten Eiweißen (Antikörpern) oder andere Nebenwirkungen, zum Beispiel allergische Reaktionen verbunden. Durch blutungsverhindernde Medikamente vor operativen Eingriffen kann beispielsweise die Transfusion von Thrombozyten vermieden werden

Wichtig ist es, dass die Patienten in einem Gerinnungszentrum betreut werden, wo erfahrene Ärzte auch die Therapie dieser Patienten festlegen können. Die Patienten sollten auch über einen Nothilfeausweis mit Angaben zur Erkrankung, ersten Maßnahmen bei Blutungen und den Kontaktdaten des betreuenden Gerinnungszentrums verfügen.

Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen mit angeborenen Plättchenfunktionsstörungen beinhalten:

  • Impfungen gegen Leberentzündungen (Hepatitis A, Hepatitis B)
  • Einnahme von Hormonpräparaten bei starken Regelblutungen
  • Gabe von Medikamenten, die durch das Ansteigenlassen von einzelnen Gerinnungsfaktoren im Blut die vorliegende Plättchenfunktionsstörung ausgleichen können und so die Gerinnung zum Zeitpunkt einer Operation deutlich verbessern (zum Beispiel Gabe von Desmopressin oder der gentechnisch hergestellte, aktivierte Gerinnungsfaktor 7)
  • Einnahme eines Präparates, welches die körpereigene Auflösung von Blutgerinnseln hemmt (so genannte Antifibrinolytikum)
  • Lokale Behandlung bei starkem Nasenbluten mit Ausstopfen der betroffenen Nasenseite (Tamponade meist mit Anlage durch den Hals-Nasen-Ohren-Arzt), regelmäßige Gabe von Nasenschleimhautpflegenden Salben oder Sprays
  • Transfusion von Thrombozyten
  • bei schweren Funktionsstörungen der Plättchen mit stattgehabten lebensbedrohlichen Blutungen Durchführung einer Transplantation von blutbildenden Stammzellen (hämatopoetische Stammzelltransplantation)

Behandlung mit Desmopressin

Desmopressin ist ein Botenstoff (Hormon), der die Konzentration des Gerinnungsfaktors "Von-Willebrand-Faktor" (siehe "Ursachen") und des Gerinnungsfaktors 8 im Blut steigert. Durch den Anstieg des Von-Willebrand-Faktors wird die Anheftung der Blutplättchen an der Verletzungsstelle wesentlich verbessert und damit die vorliegende Plättchenfunktionsstörung meist ausreichend ausgeglichen. Desmopressin kann über eine Vene oder als Nasenspray gegeben werden. Leider wurde durch den Hersteller das Nasenspray aufgrund von Qualitätsproblemen vom Markt genommen und zum Zeitpunkt der Überarbeitung dieses Kapitels im Dezember 2020 ist unklar, ob dieses Präparat in Zukunft wieder verfügbar sein wird.

Eine einmalige Gabe vor einem medizinischen Eingriff mit Blutungsrisiko ist meist ausreichend. Bei Operationen wird die Gabe über die Vene bevorzugt, bei kleinen Eingriffen wie einer Zahnentfernung ist durch den behandelnden Arzt zu entscheiden, ob die Verabreichung als Nasenspray ausreicht.

Eltern sollten wissen:

  • Kleine Kinder, die jünger als 3 Jahre sind, und Kinder mit Anfallsleiden (Epilepsie) sollten nicht mit Desmopressin behandelt werden
  • Demopressin ist oft nach etwa der vierten Gabe unwirksam, da dann der Von-Willebrand-Faktor im Blut nicht mehr ausreichend ansteigt
  • Patienten, die das Medikament im häuslichen Bereich bei Blutungen, wie einer verstärkten Regel- oder bei heftigem anhaltendem Nasenbluten als Nasenspray einsetzen, müssen sich streng an die vom Arzt festgelegten Dosierungen halten. Sie sollten also keinesfalls öfter sprayen, als es verordnet wurde oder die Pausen zwischen dem Sprayen verkürzen, denn Desmopressin beeinflusst den körpereigenen Wasserstoffwechsel so stark, dass es bei unkontrollierter Einnahme des Medikaments zu gefährlichen Entgleisungen des Flüssigkeitshaushalts kommen kann.

Behandlung mit Antifibrinolytika

Die Einnahme eines Antifibrinolytikums (beispielsweise Tranexamsäure), welches die Auflösung von Gerinnseln hemmt, die von den Thrombozyten und dem Gerinnungsfaktor Fibrinogen zum Wundverschluss gebildet werden (siehe "Ursachen"), wird insbesondere vor Eingriffen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich und im Kieferbereich sowie bei Zahnentfernungen eingesetzt. Diese Therapie ist oft auch bei einer verstärkten oder verlängerten Regelblutung erfolgreich. Das Medikament kann in Tablettenform eingenommen oder über eine Vene verabreicht werden. Nebenwirkungen werden bei Kindern selten beobachtet. In Abhängigkeit von der Art des Eingriffs wird ein Antifibrinolytikum zur Blutungsvorbeugung oft in Kombination mit Desmopressin (siehe oben) eingesetzt.

Behandlung mit Gentechnisch hergestellte Gerinnungsfaktoren

Der aktivierte Gerinnungsfaktor 7 wird gentechnisch hergestellt und stammt nicht aus dem Plasma gesunder Blutspender. Er führt unmittelbar nach der Gabe über eine Vene zu einer deutlichen Gerinnungsaktivierung unter Einbeziehung der funktionsgestörten Blutplättchen und somit zur Bildung eines stabilen Gerinnsels. Aufgrund einer Zulasssungserweiterung kann dieses Medikament als Therapie der ersten Wahl bei der Thrombasthenie Glanzmann (siehe "Krankheitsformen") eingesetzt werden. Damit lässt sich gerade bei Patienten mit dieser schweren Plättchenfunktionsstörung die Transfusion von Thrombozyten mit dem hohen Risiko der Bildung von Antikörpern gegen Thrombozyten vermeiden.

Steigerung der Zahl funktionstüchtiger Plättchen im Blut durch Transfusion (Thrombozytenkonzentrat)

Bei einer Transfusion von Blutplättchen erhält der Patient über eine Vene eine bestimmte, auf das Körpergewicht berechnete Menge an Thrombozyten von einem gesunden und Blutgruppen-passenden Spenders. Falls sich bereits Antikörper gegen Thrombozyten gebildet haben, müssen nicht nur die Blutgruppe, sondern auch andere Zellmerkmale (sogenannte HLA-Merkmale) bei der Auswahl des Thrombozytenkonzentrates beachtet werden. Auf diese Weise kann die Zahl funktionstüchtiger Thrombozyten bei einem Kind mit einer schweren Blutung (siehe "Krankheitszeichen") schnell angehoben werden. Grundsätzlich sind aber mögliche Nebenwirkungen bei der Transfusion von Blutbestandteilen zu bedenken und daher sollten diese nur bei bedrohlichen, anderweitig nicht zu behandelnden Blutungen eingesetzt werden. Da auch ein geringes Risiko der Übertragung von Infektionskrankheiten durch eine Transfusion besteht, sollten Kinder mit angeborenen Gerinnungsstörungen mit Blutungsneigung gegen Hepatitis A und B geimpft werden.